Meldungen bei den Unfallversicherungen (VBG/UV)
Leistungsanspruch bei der VBG/UV:
Die Berufsgenossenschaften sind Sozialversicherungsträger, also halbstaatliche Unfall-Versicherungen. Sie Regeln normalerweise Arbeitsunfälle bzw. Schulunfälle. Unternehmen und Institutionen sind verpflichtet, Beiträge zu zahlen und damit ihre Mitarbeiter*innen zu versichern. Seit 1963 sind auch ausdrücklich ehrenamtlich Tätige mitversichert. (Auch ehrenamtlich für Ordensgemeinschaften Tätige dürften seit dieser Zeit versichert sein. Dazu gibt es aber noch keine uns bekannte Entscheidung der VBG).
Die Anwendung auf Fälle von sexualisierter Gewalt ist Neuland, vieles ist noch nicht endgültig geregelt, über viele Auslegungen werden Gerichte entscheiden müssen. Das macht die Beratung in diesem Feld sehr kompliziert und oft vage.
Es ist ein kostenfreies Verfahren auf Basis des Sozialrechts (SGBVII). Gegen den Bescheid kann zunächst Widerspruch eingelegt, dann auch geklagt werden vor dem Sozialgericht. Dies dauert zwar lange, ist aber im Verhältnis zum Zivilrecht nicht so teuer.
Versicherungsfall: Betroffene von sexuellem Missbrauch in der Kirche
Die VBG hat schon 2011 die DBK darauf hingewiesen, dass in bestimmten Konstellationen Leistungen durch die Unfallversicherungen möglich sind und die Kirche die Betroffenen melden soll (Nachdem sie ihr Einverständnis eingeholt hat).
Ehrenamtliche Tätigkeiten sind z.B. als Messdiener*in, Pfadfindergruppenleiter*in, Chorleiterin etc., am besten nach 1963, vorher nur unter sehr besonderen Bedingungen.
Leistungsbezug: Es zählt immer der Tag der Antragstellung!!! Von dort maximal 4 Jahre rückwirkend. Verfahren kann dauern (etwa 2 Jahre).
Zwei mögliche Wege der Antragstellung/Meldung:
- Institution ist verpflichtet zu melden, sofort nach Kenntnis von einem Unfall. Darauf wurden Bischöfe auch 2011 von der VBG hingewiesen. Bei einer nachträglichen Meldung müssen sie allerdings eine Zustimmung der Betroffenen Person einholen. Dies verzögert die Meldungen häufig.
- Betroffene Personen dürfen sich auch von sich aus melden, egal wann.
- Hier der direkte Link zum Kontaktformular direkt für Betroffene: Sexueller Missbrauch in Kirchen – Versicherungsfall melden – VBG
- Ausführliche Informationen auf den Seiten der VBG: Informationen für Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Kirche | VBG
Dann folgt ein 3-schrittiges Verfahren:
- Die VBG/UV klären, ob/wer zuständig ist und gehen dann auf die Betroffenen zu.
- Zunächst ist zu klären, ob die Institution versicherungspflichtig war zu der Zeit.
- Dann wird geschaut, ob der Fall ein möglicher Versicherungsfall ist oder nicht.
- Bei der VBG betrifft es nur Arbeitsverhältnisse oder arbeitsähnliche Verhältnisse, dazu gehören auch ehrenamtliche Tätigkeiten.
- Bei der UV geht es darum, ob der Unfall im Verantwortungsbereich der Schule liegt.
- Es wird in der Regel ein Fragebogen verschickt als Grundlage für Gespräche.
- Es braucht die Einwilligung in die Einsicht von Akten. Wenn diese nicht gegeben wird, dann wird das Verfahren eingestellt.
- Häufig kommt es dann zu dem Angebot, Therapie zu machen und der/die Therapeut*in wird einen Bericht an die VBG weiterleiten.
- Wenn 1. Positiv entschieden wird, folgt die Ermittlung möglicher Leistungen, z.B. einer Verletztenrente.
- Dafür muss geklärt werden, ob und wie hoch die Folgen für das Arbeitsleben sind/waren. Dies wird angegeben in Prozent der Erwerbsminderung.
- Bei 100% Erwerbsminderung bekommt die betroffene Person 2/3 des Jahresarbeitsverdienstes aus dem Jahr vor dem Versicherungsfall als EMR, rückwirkend bis zu 4 Jahre vor dem Jahr der Meldung.
- Jahresarbeitsverdienst sind alle Löhne und Gehälter aus den 12 Monaten vor dem „Unfall“ + Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld, auch Sachbezüge, etc.;
- wenn es keine Einkommen gab, wird ein Mindestjahresverdienst zugrunde gelegt, je nach Durchschnittsentgelt zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls. /
- Wenn negativ entschieden wird, kann man Widerspruch einlegen. Danach bleibt nur der Weg über die Sozialgerichte. Dies ist aufwendig und langwierig.
- Daraus folgt: Den verständlichen Frust über die vielen Unklarheiten am besten nicht an den Sachbearbeiter*innen auslassen. Diese sind mit den Sachlagen oft noch nicht vertraut und haben recht ungenaue Vorgaben. Besser prüfen lassen von der Rechtsabteilung in Hamburg.
- Hilfreich kann auch eine freundlich-hartnäckige Haltung sein: regelmäßig freundlich nachfragen, was denn mit dem eigenen Fall bislang passiert ist (oder manchmal noch einfacher: Freund*in Vollmacht ausstellen und die nachfragen lassen)
Was bedeutet dies für die Antragsstellung?
Es muss im Antrag deutlich werden, welche Auswirkungen die Taten auf den schulischen Werdegang, auf Ausbildung, auf Karriere, auf Arbeitsfähigkeit hatten.
Bei der Antragsstellung folgende Themenbereiche abarbeiten:
1. Psychische und emotionale Folgen
- Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS): Menschen, die sexuellen Missbrauch erlebt haben, entwickeln häufig PTBS, was zu Flashbacks, Albträumen, Ängsten und emotionaler Überwältigung führen kann. Diese Symptome können das Lernen und Arbeiten erheblich beeinträchtigen.
- Angststörungen und Depressionen: Viele Überlebende leiden unter chronischer Angst, Panikattacken oder Depressionen. Diese Erkrankungen können die Motivation und die Fähigkeit, Ausbildungs- oder Arbeitsanforderungen zu erfüllen, beeinträchtigen.
- Niedriges Selbstwertgefühl: Sexueller Missbrauch kann das Selbstbild stark negativ beeinflussen. Betroffene fühlen sich oft wertlos, was dazu führen kann, dass sie sich weniger zutrauen und weniger ambitioniert in Bezug auf Karriereziele sind.
2. Schulische und berufliche Leistung
- Konzentrationsprobleme: Traumatisierte Kinder und Erwachsene haben oft Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder Informationen zu verarbeiten. Dies kann sich auf schulische Leistungen und die Fähigkeit, sich weiterzubilden, auswirken.
- Schwierigkeiten im sozialen Umfeld: Beziehungen zu Kolleg*innen oder Vorgesetzten können aufgrund von Misstrauen oder sozialem Rückzug belastet sein. Dies kann die Teamarbeit und die berufliche Entwicklung behindern.
- Vermeidung von Erfolg: Manche Überlebende neigen dazu, Erfolg oder Anerkennung zu sabotieren, da sie das Gefühl haben, ihn nicht zu verdienen, oder weil es Ängste vor weiteren Verletzungen oder Missbrauch auslöst.
3. Physische Gesundheit
- Chronische Schmerzen und psychosomatische Beschwerden: Der Stress und die Traumata, die durch den Missbrauch verursacht werden, können sich in körperlichen Symptomen wie Kopfschmerzen, Magenbeschwerden oder chronischen Schmerzen manifestieren, was die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen kann.
- Schlafstörungen: Viele Überlebende haben Schlafprobleme, die sich negativ auf ihre Energie und Produktivität im Berufsleben auswirken können.
4. Soziale Auswirkungen
- Schwierigkeiten bei der Kommunikation und Interaktion: Missbrauch kann dazu führen, dass das Vertrauen in andere Menschen schwer beeinträchtigt ist, was zu Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit und in Beziehungen am Arbeitsplatz führen kann.
- Isolierung: Aufgrund von Scham, Schuldgefühlen oder sozialer Angst isolieren sich viele Betroffene, was ihre Fähigkeit beeinträchtigen kann, sich beruflich zu vernetzen oder Unterstützung zu suchen.
5. Berufswahl und Stabilität
- Flucht in unsichere Arbeitsverhältnisse: Manche Betroffene wählen Berufe, die wenig Stabilität oder Entwicklungsmöglichkeiten bieten, da sie sich unsicher fühlen oder nicht in der Lage sind, langfristige Karriereziele zu verfolgen.
- Hohe Abbruchrate: Es kann zu häufigen Wechseln von Arbeitsplätzen oder Ausbildungen kommen, da der Stress und die emotionalen Folgen des Missbrauchs die Stabilität und Kontinuität in der Berufsausübung beeinträchtigen können.
6. Substanzmissbrauch
- Selbstmedikation: Um mit den emotionalen Folgen des Missbrauchs umzugehen, greifen manche Überlebende zu Alkohol oder Drogen. Substanzmissbrauch kann die berufliche Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigen und in einigen Fällen zu einem Verlust des Arbeitsplatzes führen.
Wichtig! Störungen im Privatleben für die VBG/Unfallversicherung leider nicht von Belang, es geht einzig um Auswirkungen auf das Berufsleben!
Unfallversicherung
Die gesetzliche Unfallversicherung für Schüler wird durch die Unfallkassen der Länder und die Gemeindeunfallversicherungsverbände getragen. Diese Institutionen sind speziell für die Versicherung von Schüler*innen, Studierenden, Kindergartenkindern und Personen in Bildungs- und Betreuungsinstitutionen zuständig.
Alle Schüler*innen, auch Internatsschüler*innen sind gegen Unfälle versichert. Institutionen sind verpflichtet, Unfälle zu melden.
- Sexueller Missbrauch kann als solcher „Unfall“ betrachtet werden. Es muss aber geprüft werden, ob sich dieser Unfall im Verantwortungsbereich der Schule ereignet hat. Dazu zählt der Schulweg, Klassenfahrten, unter Umständen auch der Besuch beim Lehrer, wenn dieser ihn über schulische Belange eingefädelt hat. Zu diesem Bereich gibt es umfängliche Gerichtsentscheide. Derzeit liegt eine Anfrage von Eckiger Tisch e.V, bei den Geschäftsführungen der Unfallkassen vor, die sich um den Verantwortungsbereich von Schule für schlafende Internatsschüler*innen dreht.
- Normalerweise melden sich die Unfallversicherungen so wie die VBG selbstständig bei den Betroffenen nach Meldung eines Unfalls.
- auch hier gibt es die Möglichkeit der Nachmeldung
Hier können Sie sich dieses Merkblatt zu Meldungen bei den Unfallversicherungen herunterladen.