Wir nennen den Umgang der Kirche mit ihr bekanntgewordenen Verbrechen des Kindesmissbrauchs „das zweite Verbrechen“. Dieses Verbrechen wurde von der Institution oft fahrlässig, aber auch vorsätzlich an den Opfern sexueller Gewalt begangen: Die Opfer wurden im Schweigen gehalten, die Täter geschützt. Die weltweite und systematische Politik der Verheimlichung und des Versetzens gab den Tätern die Gelegenheit zu neuen Verbrechen an Kindern und Jugendlichen. Die systematischen Ursachen in Lehre und Disziplin der Kirche wurden und werden geleugnet, zum Teil bis heute. Die Betroffenen, die sich zu Wort melden werden, werden beschämt, ihre Forderungen abgewehrt und relativiert.

Nach dem „Runden Tisch“ 2011 wurde den Betroffenen ein Betrag von bis zu 5.000 Euro als „freiwillige Leistung in Anerkennung des Leids“ angeboten − auf Antrag. Dieser neu geschaffene Begriff der „Anerkennung des Leids“ sollte die institutionelle Verantwortung verdecken. Ein echtes Entschädigungsangebot hätte die Anerkennung der Verantwortung durch die Kirche bedeutet. Dieser Verantwortung verweigert sich die Kirche bis heute.

Nach der Veröffentlichung der MHG-Studie 2018 begann ein neuer Anlauf, zu einer wirklichen Entschädigung zu kommen. Eine Arbeitsgruppe aus 30 Expert:innen − darunter Betroffene − tagte auf Einladung des Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz in mehreren Workshops und erarbeitete Empfehlungen zum Verfahren und zu den möglichen Summen.

Schließlich legten drei Delegierte dieser Arbeitsgruppe diese Empfehlungen den im Herbst 2019 in Fulda versammelten Bischöfen vor.

Im Anschluss an diese Präsentation endete jeder Kontakt zwischen der Arbeitsgruppe und der DBK. Offenbar war der Kirche die Entschädigung ihrer Opfer zu teuer. Stattdessen entschieden sich die Bischöfe zu einer veränderten Form des seit 2011 bestehenden Verfahrens der Zuerkennung von „Leistungen in Anerkennung des Leids“. Eine Entschädigung lehnt die Kirche bis heute ab.

Trotz aller „Erschütterung“ über die seit 2010 aufgedeckten zahllosen Fälle von Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester und obwohl weitere Studien und Gutachten das systemische Versagen, die systematische Vertuschung und den organisierten Täterschutz von Seiten der Bischöfe und Verantwortungsträger wiederholt bestätigt haben, ist die Kirche bis heute zur echten Verantwortungsübernahme nicht bereit. Darum aber geht es: Die Verantwortung für das in den Biografien der Opfer angerichteten Schaden.

Die aktuell angebotenen Leistungen „von bis zu 50.000 Euro“ bleiben so willkürlich und unzureichend wie zuvor. In der großen Mehrzahl der Anträge zeichnet sich ab, dass auch weiterhin nur symbolische Zahlungen angeboten werden. Eine nachvollziehbare Auswertung der zuerkannten Leistungen gibt es nicht. Die Kriterien der Zumessung bleiben im Dunkeln. Das Verfahren der Beantragung ist weiterhin durch Intransparenz gekennzeichnet.

Eine Entschädigungszahlung hat neben der materiellen immer auch eine immaterielle Wirkung. Neben der Summe kommt daher dem Verfahren eine große Bedeutung zu. Deshalb fordern wir von der katholischen Kirche in Deutschland, den Laien ebenso wie den Bischöfen und Ordensangehörigen weiterhin:

Die Opfer haben lange genug gewartet!

#cryingmary

Weiterführend Links:

Wichtige Hinweise zum UKA Antrag und Verfahren


Themenseite #EntschädigungJetzt

Argumentationspapier

Einschätzung von Prof. Steph
an Rixen

Empfehlungen der Arbeitsgruppe im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz von 2019

Anerkennungszahlungen

Wir fordern seit 2010 Entschädigungszahlungen von der Kirche. Dazu ist die Kirche bislang nicht bereit.
Aufgrund des öffentlichen Drucks ist das von ihr entwickelte Verfahren für Zahlungen als „Anerkennung des Leids“ mehrfach aktualisiert worden.
Derzeit steht eine grundsätzliche Anhebung der bewilligten Leistungen der UKA aus, nachdem im Sommer 2023 in einem ersten Verfahren auf Schmerzensgeld erstmals 300.000 Euro zugesprochen wurden.
Die Kirche hat immer betont, sie würde sich in ihren UKA Entscheidungen an der oberen Grenze der Schmerzensgeld-Tabellen orientieren. Bislang scheint sie sich einer generellen Anhebung der Leistungen gegenüber aber noch zu sperren.

Grundsätzliches

Seit dem 01.01.2021 können „Personen, die als Minderjährige oder erwachsene Schutzbefohlene sexuellen Missbrauch durch Personen im kirchlichen Dienst erlebt haben“, einen Antrag auf Anerkennung des Leids stellen − unabhängig davon, ob sie das Verfahren zur „Anerkennung des Leids“ in der alten Version schon durchlaufen haben oder nicht; unabhängig davon, ob die Taten strafrechtlich verjährt (und/oder die Täter verstorben) sind oder nicht.

Im September 2020 wurde beschlossen, die Anerkennungszahlungen auf 1.000 bis 50.000 Euro zu erhöhen. In besonders schweren Fällen ist eine höhere Zahlung als 50.000 Euro vorgesehen. Bereits geleistete Zahlungen werden von der neu berechneten Summe abgezogen.

Zusätzlich zu den Einmalzahlungen kann die Übernahme von Kosten einer Psychotherapie (bis zu 50 Stunden) und/oder einer Paartherapie (25 Sitzungen) beantragt werden. Diese werden nicht auf die Einmalzahlung angerechnet. Weitere Informationen finden Sie HIER.

Die Regelung gilt für alle Betroffene, deren Ansprechpartner ein Bistum ist und für einige wenige Ordensgemeinschaften. Aktuelle Informationen darüber, welche Ordensgemeinschaften das sind, finden Sie HIER (Stand 17.10.2024) Die Ansprechpersonen der Bistümer finden Sie HIER.

Betroffene, die in der Vergangenheit noch keinen Antrag auf Anerkennung des Leids (in der alten Version) gestellt haben
Betroffene, die bisher noch keinen Antrag auf Anerkennung des Leids (in der alten Version) gestellt haben, benutzen den ERSTANTRAG.

Den Erstantrag in der handschriftlich auszufüllenden Version finden Sie HIER.
Den Erstantrag in der am Computer bearbeitbaren Version finden Sie HIER.

Betroffene, die ein Verfahren zur Anerkennung des Leids vor dem 1. Januar 2021 bereits durchlaufen haben
Betroffene, die ein Verfahren zur Anerkennung des Leids vor dem 1. Januar 2021 bereits durchlaufen haben, benutzen den NEUANTRAG (unabhängig davon, ob bereits Leistungen erbracht wurden oder nicht):

Den Neuantrag in der handschriftlich auszufüllenden Version finden Sie HIER
Den Neuantrag in der am Computer bearbeitbaren Version finden Sie HIER.

Bitte lesen sie sich im Vorfeld sorgfältig die Ausfüllhinweise durch bevor Sie den Antrag ausfüllen. Wir beraten Sie gern. Auch anwaltliche Beratung kann empfehlenswert sein. 

Widerspruch und Akteneinsicht
Seit März 2023 ist es möglich, Widerspruch gegen die Entscheidungen der „Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen“ (UKA) einlegen sowie Akteneinsicht zu beantragen.

Frist zum Einlegen eines Widerspruches gegen den Bescheid der UKA ist ein Jahr. In dieser Zeit könnten sich die Schmerzensgeldzahlungen aufgrund von Gerichtsurteilen weiter nach oben verändern.  

Empfehlungen für den Antrag
Akteneinsicht

Für den Fall, dass Sie die eingereichten Unterlagen Ihres bereits abgeschlossenen Antrags nicht mehr zur Verfügung haben, gibt es die Möglichkeit, Akteneinsicht zu beantragen. Diese verlängert allerdings den Verlauf des Einspruch-Verfahrens.  
Sie können Ihre Bitte um Akteneinsicht an diese Adresse schicken: info [AT] anerkennung-kirche.de 

Recht auf Neuprüfung und Wiederaufnahme

Unabängig vom auf ein Jahr befristeten Recht auf Widerspruch gibt es die Möglichkeit einer erneuten Prüfung (nach §12.2 Verfahrensordnung Anerkennung) bei Auftauchen von neuen Informationen. Dies gilt unbefristet.

Kriterien der Leistungsbemessung der UKA 

Kapitel 7.1 Verf.Ordnung DBK 

Zu den Bemessungsrundlagen für die Höhe der Anerkennungszahlung heißt es:

Kriterien für die Leistungsbemessung im konkreten Einzelfall Orientierungspunkte für die Höhe der materiellen Leistung können insbesondere sein:
– die Häufigkeit des Missbrauchs,
– das Alter des Betroffenen zum Zeitpunkt des Missbrauchs,
– die Zeitspanne in Fällen fortgesetzten Missbrauchs,
– die Anzahl der Täter,
– die Art der Tat,
– die Anwendung oder die Androhung von körperlicher Gewalt beim sexuellen Missbrauch,
– der Einsatz von Alkohol, Drogen oder Waffen,
– ein bestehendes Abhängigkeitsverhältnis und Kontrolle (zum Beispiel: Heim, Internat) zum Zeitpunkt der Tat,
– die Ausnutzung der besonderen Hilfsbedürftigkeit des Betroffenen,
– der Ort des Missbrauchs (zum Beispiel: sakraler Kontext),
– die Art der körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen sowie weitere Folgen für den Betroffenen,
– die Ausnutzung eines besonderen Vertrauensverhältnisses im kirchlichen Bereich,
– das Verhalten des Beschuldigten nach der Tat,
– ein institutionelles Versagen durch kirchliche Verantwortungsträger, sofern es ursächlich oder mitursächlich für den Missbrauch war oder diesen begünstigt oder nicht verhindert hat.

 Hinweis: Die Kommission berücksichtigt bei der Beurteilung nach eigenen Angaben „alle geschilderten Tatumstände wie auch die Auswirkungen der sexualisierten Gewalt auf Ihren Werdegang und Ihr Leben sowie ein mögliches institutionelles Versagen, und zwar „unter Berücksichtigung vergleichbarer Taten“.

Wir empfehlen daher, möglichst detaillierte Angaben zu den Auswirkungen des Miss­brauchs auf das weitere Leben zu machen. Hierbei kann es sich um psychische Be­einträchtigungen handeln (z.B. Beziehungs- oder Nähe-/Distanzprobleme, Miss­trauen, depressive Phasen, sexuelle Probleme, Partnerschaftsprobleme etc.) handeln, aber auch die schulische oder berufliche Entwicklung kann beeinflusst worden sein, des Weiteren körperliche Erkrankungen, die im weiteren Lebensverlauf aufgetreten sind.

Hier eine Liste von möglichen Folgen des sexuellen Missbrauchs:
– Vertrauensverlust und verstärktes Misstrauen
– Existenzangst, Lebensangst, komplexe Angststörung
– Depressionen (anhaltende Niedergeschlagenheit)
– Gefühl innerer Leere, fehlender innerer Halt
– Schlafstörungen
– Identitätsprobleme (Ich bin verunsichert in der Rolle als Mann, Frau, Vater, Mutter oder im Beruf.)
– Wahrnehmungs-­, Kontakt­ und Kommunikationsstörungen
– Gedächtnisstörungen
– Konzentrationsstörungen
– mangelnde Konfliktfähigkeit
– Rückzugsverhalten (in sozialen Situationen und Beziehungen, Meiden bestimmter Orte, Tätigkeiten und Personen)
– Minderung emotionaler Erlebnisfähigkeit (Ich fühle wenig.)
– Beeinträchtigung der Beziehungsfähigkeit bis zur Bindungsunfähigkeit
– zwanghaftes Verhalten (Manchmal muss ich etwas Bestimmtes immer wieder tun, manchmal werde ich von quälenden Gedanken geplagt.)
– Vermeidung körperlicher Nähe
– sexuelle Beeinträchtigungen / Probleme
– Verbitterungs-­ und / oder Hassgefühle (Ich fühle Resignation, meine Hoffnungslosigkeit schlägt um in Wut.)
– aggressives Verhalten gegen andere und / oder gegen sich selbst
– Selbstvernachlässigung, Probleme mit der Gesundheitsfürsorge
– Vermeidung oder Verweigerung von Arztbesuchen und Medikamenteneinnahme
– Dissoziationen (Ich stehe plötzlich neben mir oder fühle mich wie weg.)
– Flashbacks (Mir schießen plötzlich Szenen in mein Bewusstsein, gegen die ich mich nicht wehren kann.)
– Albträume
– Affektdurchbrüche (z. B. plötzliches Weinen, plötzliche Wut)
– Suchterkrankung / Suchtmittelmissbrauch
– Posttraumatische Belastungsstörungen
– Andere psychische Erkrankungen
– (Psychosomatische) Erkrankungen

Je genauer die UKA versteht welche Auswirkungen der Missbrauch hatte, desto wahrscheinlicher wird eine Entscheidung, die dem Leiden auch eine Form der ausgleichenden Gerechtigkeit entgegenstellt. Die Schilderungen müssen unter die Haut gehen, detailliert sein in der Darstellung der Belastungen. 

Hilfreich können z.B. Schilderungen sein, wie belastend die Tage mit Therapiesitzungen waren, so dass an diesen nicht mehr gearbeitet werden konnte.  

LITERATUR 

Wir empfehlen Ihnen das gerade neu erschienene Buch von Rechtsanwalt Lothar Jaeger: Sexueller Missbrauch und Gewalt – Wege zu hohen Anerkennungsleistungen und Entschädigungen; Nomos Verlag 2024 

Bevollmächtigte Vertretung möglich

Wenn sich Betroffene selbst nicht in der Lage sehen, einen (erneuten) Antrag zu stellen (z.B. durch PTBS oder Retraumatisierungen), dann besteht die Möglichkeit, mit Hilfe einer Vollmacht einen Vertreter zu benennen.

An wen schicke ich den fertigen Antrag?
Ihren ausgefüllten Antrag schicken Sie bitte an die / den Missbrauchsbeauftragte/n des zuständigen Bistums / Ordens. Eine vollständige Liste finden Sie HIER. Denken Sie daran, vor dem Absenden eine vollständige Kopie Ihres Antrags für Ihre Unterlagen anzufertigen.

Die Anträge werden dann an die „Unabhängige Kommission für Anerkennungs­leistungen“ (UKA) nach Bonn weitergeleitet und dort bearbeitet. Die Kommission besteht aus kirchenunabhängigen Fachleuten. Informationen zur Besetzung der UKA und ihrer Geschäftsstelle finden Sie HIER.

Das Entscheidungsgremium berät sich zu der Höhe der Zahlung und weist den Betrag direkt an die Betroffenen an. Ein Schreiben über die Höhe der materiellen Leistungen in Anerkennung des Leids geht an das Bistum sowie an den Betroffenen selbst. Dabei versicherte die DBK, dass die UKA frei von Weisungen und unabhängig ist. Die UKA werde sich „am oberen Rahmen der öffentlichen Schmerzensgeldtabellen orientieren“.

Wie lange dauert die Bearbeitung meines Antrags?
Entscheidungen werden entweder im Plenum oder in sog. Kammersitzungen entschieden, diese Tagen jeweils einmal im Monat. Derzeit werden pro Monat etwa 60 Entscheidungen getroffen. Genauere Infos dazu HIER.

Wie sieht der Bescheid aus, den ich nach der Bearbeitung von der UAK bekomme?
Zwei Beispiele für derartige Bescheide können Sie HIER sehen.

Wenn Sie einen Bescheid der UAK erhalten haben
Es gibt eine Widersruchsfrist von einem Jahr.

Um gegenüber der Kirche die Interessen der Betroffenen vertreten zu können, sind wir auf detaillierte Informationen über die Entscheidungen der UKA angewiesen. Wir bitten Sie uns hierfür einen Scan oder ein Foto Ihres Bescheides von der UKA zukommen (Email: vertraulich [AT] eckiger-tisch.de). Machen Sie gerne Ihre persönliche Daten unkenntlich, wenn Sie den Bescheid unverändert senden, entfernen wir Ihren persönlichen Daten nach Eingang.

Beratung
Weitere aktuelle Informationen finden Sie HIER. Für weitere Beratung wenden Sie sich per Mail an vertraulich [AT] eckiger-tisch.de

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