Erste Stellungnahme zum UBSKM-Gesetz

Eckiger Tisch begrüßt sehr, dass der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen nunmehr vorgelegt wurde. Die Intention, die in den letzten 14 Jahren entwickelten Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und Jungen zu stärken, unterstützen wir im vollen Umfang.

Mit der Trias aus Unabhängiger Beauftragter, Betroffenenrat und Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat sich Deutschland ein auch international beachtetes Instrumentarium geschaffen, um den Schutz vor sexueller Gewalt zu verbessern und zugleich erwachsengewordenen Betroffenen von Missbrauch in Kindheit und Jugend gerecht zu werden. Die gesetzliche Verankerung dieser Strukturen ist notwendig und richtig. Allerdings wünschen wir uns seit langem, bei dieser Gelegenheit nicht nur die bestehenden Strukturen organisatorisch abzusichern, sondern sie auch weiterzuentwickeln, breiter aufzustellen und besser auszustatten.

Für den dauerhaften Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch braucht es eine national sichtbare und als unabhängig wahrgenommene Instanz. Da es auch um konkretes Handeln geht, ist die Verortung des Amtes bei der Exekutive nachvollziehbar und richtig.

Der „Runde Tisch Sexueller Kindessmissbrauch“ (RTsKM, 2010/2011) hat deutlich gezeigt, wie wichtig es in diesem Themenfeld ist, unterschiedliche Ressorts innerhalb der Bundesregierung einzubeziehen. Der Kampf gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen stellt eine politische Querschnittsaufgabe dar, die neben der Expertise aus der Familien-, Kinder- und Jugendpolitik ebenso die rechts- und innenpolitische Expertise braucht. Die Gesundheits- und Forschungspolitik spielen ebenfalls eine Rolle. Auch die Außen- und Entwicklungspolitik sind tangiert. Die Digitalpolitik wird immer wichtiger im Hinblick auf neue Formen sexueller Gewalt sowie auf datenschutzrechtliche Herausforderungen im Kampf gegen Gewalt und Missbrauch. Von daher halten wir eine Verortung des Amtes auf Kabinettsebene für den richtigen Weg.

Wir bedauern als Vertretungsorganisation von Betroffenen im Kontext der katholischen Kirche keine Einladung zur Verbändeanhörung erhalten zu haben. Mit nachfolgender Stellungnahme wollen wir daher zumindest eine erste Einschätzung vornehmen. In die nachfolgenden parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfs wollen wir uns konstruktiv einbringen und hoffen auf das Gehör der politischen Entscheiderinnen und Entscheider.

Unsere nachfolgenden Anmerkungen beziehen sich insbesondere auf die drei Themen, für die wir seit der Gründung der Initiative 2010 stehen: Aufarbeitung, Hilfe und Entschädigung.

1.  Aufarbeitung

Zur Frage wie institutionelle und gesellschaftliche Aufarbeitung insbesondere des katholischen Missbrauchsskandals sichergestellt werden kann, haben wir im vergangenen Jahr unsere Position beschrieben, auf dieses Papier verweisen wir: Der Staat ist und bleibt aufgefordert, für die Aufarbeitung Verantwortung zu übernehmen!

Wir begrüßen den Vorstoß, das individuelle Recht einer jeden von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend betroffenen Person festzuschreiben, Unterstützung bei der persönlichen Aufarbeitung dieses erlittenen Unrechts zu erhalten. Wenn es beispielsweise um die eigene Heim-, Jugendamts- oder Schülerakte geht, sind die darauf bezogenen Verbesserungen (etwa beim Aktenzugang) wichtig und richtig. Doch was ist mit Akten von Kirchen, Verbänden und anderen Einrichtungen? Wer untersucht die Akten der Täter?

Aus dem Recht der einzelnen Person, unversehrt aufzuwachsen (was gegenüber Betroffenen nicht gewährleistet werden konnte), leitet sich eine Pflicht von Staat und Institutionen ab, diese Aufarbeitung nunmehr zu leisten. Dies gilt vor allem auch vor dem Hintergrund, dass der Staat es war, der Verjährungsregeln gesetzt hat, die insbesondere eine strafrechtliche Aufklärung in den meisten Fällen verhindert haben. Mit dem heutigen Wissen um die psychischen Folgen des Missbrauchs erscheinen die Verjährungsregeln als kaum sachgerecht: Den Missbrauchsbetroffenen war es sehr häufig aus psychologischen Gründen (zB Verdrängung) faktisch versperrt, ihre Verletztenrechte zivilrechtlich oder strafrechtlich zu verfolgen.

Diese Mitverantwortung des Staates, aber auch die institutionelle und gesellschaftliche Dimension nimmt der Entwurf nicht in ausreichendem Maße in den Blick. Sexuelle Gewalt ist zwar individuelles Schicksal, aber eben auch ein institutioneller und gesellschaftlicher Skandal!

Zur persönlichen Aufarbeitung gehört es, zu erfahren, wie staatliche, kirchliche oder andere Institutionen, denen die heute erwachsene Person als Kind oder Jugendlicher anvertraut war, mit der erfahrenen Gewalt umgegangen ist. Aufarbeitung fragt nach Ursachen und Ermöglichungsbedingungen. Die institutionelle Aufarbeitung der jeweiligen Gewaltgeschichte von Kirchen, Heimen, Vereinen und anderen Einrichtungen ist unverzichtbarer Teil der persönlichen Bewältigung für Menschen, die in diesen Einrichtungen – und teilweise durch sie – zu Opfern wurden. Zugleich gehört zu einer umfassenden Betrachtung die Verantwortung etwa der Justiz im Umgang mit Tätern im institutionellen Kontext.

Stärkung der existierenden Aufarbeitungskommission auf Bundesebene

Um aufzuklären und aufzuarbeiten, wie institutionell und gesellschaftlich beim Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt versagt wurde, arbeitet seit nunmehr acht Jahren eine untergesetzliche Unabhängige Kommission. Sie anerkennt das Unrecht, das Betroffene erfahren haben, indem sie einen Raum zur Verfügung stellt, die eigene Geschichte mitzuteilen und – spät – Gehör zu finden.

Es ist gut und richtig, diese Arbeit endlich auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Was diese Kommission jedoch bislang nicht leisten konnte und nach dem vorliegenden Entwurf auch in Zukunft nicht wird leisten können, ist gerade etwas für Opfer und Gesellschaft fundamental Wichtiges: das Verhalten von zivilgesellschaftlichen und staatlichen Institutionen und Einrichtungen dahingehend zu untersuchen, wie sie sich in Bezug auf diese von den Betroffenen berichteten Gewalterfahrungen verhalten haben.

Wenn diese Kommission in Zukunft für die Aufklärung und Aufarbeitung etwa des katholischen Missbrauchsskandals verantwortlich sein soll, benötigt sie dafür ein starkes Mandat und eine entsprechende personelle und finanzielle Ausstattung. Beides sieht der Gesetzentwurf nicht vor.

Echte Untersuchungsrechte, wie die Möglichkeit zum Aktenzugang und zur Anhörung von Zeugen, finden sich nicht. Ein Zeugnisverweigerungsrecht der Kommissionsmitglieder ist nicht vorgesehen. Die vorgesehenen Berichtspflichten von UBSKM und Kommission sind begrüßenswert und können neben der symbolischen Wirkung eine Anschlussfähigkeit im öffentlichen und politischen Raum ermöglichen. Allerdings bleibt völlig unklar, welche Konsequenzen auf die Berichtslegung folgen und wer befugt ist, solche – etwa bei unzureichenden Aufarbeitungsprozessen – folgen zu lassen. 

Der Verbundkoordinator des Forschungsteams der sog. MHG- Studie von 2018 über sexuellen Missbrauch durch Kleriker der Katholischen Kirche, Harald Dreßing, den wir um eine Einschätzung gebeten haben, fordert seit Jahren gesetzliche Rahmenbedingungen wie retrospektive Untersuchungen über stattgefundene Gewalthandlungen aussehen sollten. Die Rechte und Pflichten der Mitglieder einer solchen Aufarbeitungskommission, ob man die nun „Wahrheitskommission“ oder anders nennt, müssten demnach gesetzlich geregelt sein.

Zugleich kritisiert Dreßing: „Die bisherigen Untersuchungen finden teilweise ja in einem Graubereich statt und über Erkenntnisse darf dann aus Gründen des persönlichen Datenschutzes der Täter nicht berichtet werden“.

2. Hilfe

Das individuelle Recht auf Aufarbeitung führt zu der Frage, wie Betroffene dabei unterstützt werden sollen, dieses Recht auch auszuüben. Es ist dringend notwendig, die bestehenden –  oft ehrenamtlich geprägten und prekär finanzierten – Beratungsangebote zu stärken und besser abzusichern. Dazu sollte dann aber auch gehören, Selbstorganisation von Betroffenen, Betroffeneninitiativen und Vereine zu unterstützen.

Im Nachgang des Runden Tisches, der erhebliche Defizite beim Zugang von Opfern sexuellen Kindesmissbrauchs zu Leistungen der Opferentschädigung festgestellt hatte, wurde ein ergänzendes Hilfssystem geschaffen, das erfolgreich Betroffenen konkrete Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen von sexueller Gewalterfahrung bietet. Dieser „Fonds Sexueller Missbrauch“, dem sich im institutionellen Teil auch verschiedene Institutionen angeschlossen hatten, findet sich in dem Gesetzentwurf bedauerlicherweise nicht wieder. Er sollte gestärkt und ausgebaut werden. Alle Institutionen sollten sich an seiner Finanzierung beteiligen bzw. nach den Regeln des Fonds Leistungen an Betroffene übernehmen.

3. Entschädigung

Zu den Fragen, die am Runden Tisch nicht geklärt wurden, gehört die nach einer angemessenen Entschädigung von Betroffenen, die Opfer von sexueller Gewalt in institutionellen Kontexten, namentlich der katholischen und evangelischen Kirche wurden.

Täter (und Täterinnen) handeln nicht im luftleeren Raum. Institutionen wie die katholische Kirche tragen eine Mitverantwortung für diese Verbrechen, weil sie Täter vor Strafverfolgung geschützt haben, durch eine Praxis des Versetzens immer neue Gelegenheiten für Verbrechen gegeben haben, weil sie ihre zu Tätern gewordene Mitbrüder (und -schwestern) lebenslang beschützt und alimentiert haben, statt sie an Straftaten gegen Kinder und Jugendliche zu hindern.

Die Amtshaftung der katholischen Kirche für die von ihren Priestern an Kindern und Jugendlichen begangenen Verbrechen ist inzwischen gerichtlich festgestellt worden. Sie sollte nun daraus die Konsequenz ziehen und endlich mit Betroffenen über angemessene Entschädigungen für das Versagen der Institutionen, in denen die Täter ihre Verbrechen begehen konnten, verhandeln.

Das Gesetz sollte die Pflicht zur angemessenen Entschädigung durch Institutionen, die beim Schutz der ihnen anvertrauten Kinder versagt haben, statuieren. Die Regierung sollte angehalten werden, mit den Kirchen eine entsprechende Regelung zu treffen, statt die einzelnen Betroffenen auf den belastenden und traumatisierenden Rechtsweg zu verweisen.