„Die Kirche in Italien ist weiterhin ein unsicherer Ort für Kinder“ – wir fügen hinzu: Nicht nur in Italien.

Transnational operierende Ordensgemeinschaften spielen im katholischen Missbrauchsskandal eine besondere Rolle.

Rom, 24. Mai 2024

Im Rahmen einer Pressekonferenz in Rom anlässlich des Weltkindertages, der von der Kirche in Italien und Papst Franziskus an diesem Wochenende begangen wird, haben italienische Missbrauchsbetroffene und ihre internationalen Unterstützer und Unterstützerinnen, die in der Organisation Ending Clergy Abuse (ECA) zusammengeschlossen sind, an zahlreichen Beispielen belegt, dass die Kirche in Italien weiterhin ein unsicherer Ort für Kinder ist.

Dies gilt nicht nur für Italien. Denn die strukturellen Ursachen für sexuelle Gewalt und die Mechanismen des Täterschutzes und für das Vertuschen von Übergriffen durch Kleriker in der katholischen Kirche haben sich auch durch die vom Papst im Kirchenrecht vorgenommen Veränderungen nicht gewandelt.

Die Risikofaktoren, wie sie etwa von der deutschen MHG-Studie oder anderen internationalen Untersuchungen immer wieder herausgearbeitet wurden, sind nach wie vor intakt und werden nicht angegangen, sondern vielfach verleugnet: Die Frage der Machtverteilung zwischen Klerikern und Laien, die Lehre zur Sexualmoral im Allgemeinen und die Haltung zur Homosexualität im Besonderen, der Zölibat als zwingende Voraussetzung für ein Amt in der Kirche und die marginalisierte Rolle der Frauen.

Die Rolle der katholischen Ordensgemeinschaften

Schätzungsweise ein Drittel der Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs durch Kleriker, die in den letzten Jahrzehnten im Zuge des weltweiten katholischen Missbrauchsskandals bekannt geworden sind, geschehen im Kontext von religiösen Ordensgemeinschaften der katholischen Kirche. Tausende Schulen, Heimeinrichtungen, Waisenheime und Ausbildungsstätten in aller Welt werden von diesen betrieben. Deshalb wäre die Aufarbeitung der Vergangenheit und funktionierende Schutzkonzepte heute so wichtig.

Jesuiten, Salesianer, Franziskaner, Maristen sind die großen und bekannten transnational agierenden Orden. Sie betreiben weltweit Bildungseinrichtungen, die sich an Kinder und Jugendliche richten. Aber auch zahllose kleine Gemeinschaften, die oft unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit bleiben, sind lokal und international mit Bildungsangeboten aktiv.

Allein rund 400 Ordensgemeinschaften gibt es nach einer Schätzung in Deutschland. Viele davon haben Niederlassungen im globalen Süden. Niemand hat bis heute einen Überblick über den „Tätertourismus“ in diesen Gemeinschaften. Niemand erfasst bislang die Zahl der Übergriffe in den betroffenen Einrichtungen. Doch zahllose lokale Presseveröffentlichungen der letzten Jahre zeichnen ein schlimmes Bild über das systematische Vertuschen von Missbrauchsfällen und den aktiven Täterschutz durch das Versetzen von von einer Einrichtung zur nächsten – oft über Ländergrenzen hinweg. Alle großen Orden sind davon betroffen, ebenso wie eher kleine Gemeinschaften.

Erinnert sei an das Istituto Próvolo aus Verona, das für Verbrechen an gehörlosen Kindern in Italien ebenso wie in Argentinien verantwortlich ist, weil Täter geschützt und von einem Heim zum nächsten versetzt wurden. Auch aus Deutschland wurden Täter vor der Justiz nach Südamerika in Sicherheit gebracht und neuerlich Kinder und Jugendliche gefährdet.

Selten werden die transnationalen Aspekte so deutlich, wie etwa im Falle der spanischen Jesuitenpriester, die nachdem sie in der Heimatprovinz mit Übergriffen auf Minderjährige aufgefallen waren, über Jahre hinweg einfach nach Bolivien versetzt wurden, wo sie etwa im Kolleg des Ordens in Cochabamba zahlreiche weitere Missbrauchstaten begehen konnten.

Während über die Verantwortung der Bischöfe, die ihre Priester schützten und die Opfer vergaßen, in den letzten Jahren viel berichtet wurde, ist das Problem der transnationalen Ordensgemeinschaften wenig im Blick. Die Verantwortungswege bleiben oft diffus. Dabei sind viele Ordenszentralen hier in Italien, in Rom und natürlich im Staat der Vatikanstadt beheimatet und profitieren von der diplomatischen Immunität. Akten über Täter und Opfer aus aller Welt werden so in den Ordenszentralen gehütet und kein Staatsanwalt, kein Betroffener, und kein Forscher haben bislang darauf Zugriff.

Die Verantwortung für die Kontrolle dieser Gemeinschaften liegt in der Regel beim Papst und seiner Verwaltung, der römischen Kurie, wenn man von lokalen Gemeinschaften absieht. Nationale Kontrollinstanzen etwa für das Schulwesen sind mit der kriminellen Energie, mit der agiert wurde, überfordert.

Neben der Bildung der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen geht es den Orden häufig auch darum, Nachwuchs für ihre Gemeinschaft zu gewinnen. Hier besteht die Gefahr, dass gerade vulnerable Jugendliche, sowie Jugendliche die bereits sexuelle Gewalt durch Ordensangehörige erfahren haben in den Bann dieser Organisationen gezogen werden.

Wir stellen fest:

ECA fordert seit seiner Gründung vor sechs Jahren „Control the Religious Orders“. Dieser Forderung schließen wir uns ausdrücklich für Deutschland und die hier tätigen Ordensgemeinschaften an.