Das (erneute Versagen) des Rechtsstaats vor der Macht der Kirche
Stellungnahme zu dem Verfahren vom 25.03.2025 um Schmerzensgeld vor dem Landgericht Köln:
Fast war man geneigt, den Kölner Erzbischof zu loben, weil er im Gegensatz zu seinen Mitbrüdern bislang darauf verzichtet hat, sich auf Verjährung zu berufen, wenn es um die Ansprüche von Opfern sexuellen Missbrauchs durch kirchliche Amtsträger geht.
Doch: Wer braucht schon die Verjährung, wenn er die Amtshaftung infrage stellen oder die Taten anzweifeln und den Zusammenhang mit den Lebensfolgen leugnen kann. Diese vier juristischen Minenfelder hat die Kirche errichtet, um Ansprüche abzuwehren. Und die Justiz hilft willfährig mit – wie immer möchte man im Blick auf die Geschichte sagen. Der Rechtspositivismus walzt die Klagen der Opfer nieder.
Da werden dann aus 200 Vergewaltigungen, die sich aus den Aussagen der Betroffenen plausibel ableiten lassen, zwei Fälle gemacht, die bei der Verurteilung des Täters eine Rolle gespielt haben. Oder kirchliche Zeugen, darunter ein heutiger Berliner Erzbischof, haben nichts gesehen, nichts bemerkt oder waren eigentlich gar nicht da. Wie plausibel ist es, dass in einem geschlossenen Priesterseminar niemand bemerkt haben will, wenn da monatelang immer mal wieder ein kleines blondes Mädchen an den Wochenenden in einer der zellenartigen Zimmer neben den anderen zellenartigen Zimmern übernachtete – unter lauter jungen Männern, die versprochen hatten auf Sex zu verzichten. Wenn die Kinder im „Zöli-Bad“ genannten Schwimmbad planschten? Im Strafprozess wird dem Angeklagten ein Vorteil eingeräumt: in Zweifel für den Angeklagten. Doch weshalb sollte die Kirche in einem Zivilverfahren die Aussagen der Klägerin infrage stellen können, ohne selbst irgendeinen Beleg oder gar Beweis für das Gegenteil vorlegen zu müssen. Die Pfortenbücher sind ja leider nicht mehr vorhanden. Wem glaubt der Richter? Der Täterorganisation, die alles unter der Decke zu halten versuchte, von nichts gewusst haben will, die keine Belege und Akten vorlegen kann oder will – oder der Klägerin, die in klarer und nachvollziehbarerweise berichtet, was sie erlebt hat.
In der Theorie sollten vor dem Zivilgericht Kläger und Beklagte gleich sein. Faktisch wird schnell klar: es herrscht keine Waffengleichheit in diesen Verfahren. Die Kirche kann ohne Beleg alles infrage stellen und leugnen, die Klägerinnen sollen stattdessen Beweise vorlegen, etwa bei den hochplausiblen Tatfolgen.
So wiederholt sich für Betroffene, die dem Recht vertrauen, auf erschreckende Weise die Ohnmachtserfahrung ihrer Kindheit: Damals hat der Staat die Opfer nicht geschützt. Nach 2010 dann hat er geduldet, dass die Aufklärung der Verbrechen endlos in die Länge gezogen werden konnte, und sie weitgehend der Täterschutzorganisation selbst überlassen. Auf diese endlose Geschichte der „Aufarbeitung“ verwies auch der bekannte „Hängemattenbischof“, den Betroffene und ihre Unterstützer vor das Gebäude der Justiz in Köln platziert hatten.
Heute, 15 Jahre nachdem die Gesellschaft in die Abgründe von kirchlicher Gewalt und sexuellem Missbrauch geschaut hat, ist der Rechtsstaat in Gestalt des Landgerichts Köln dabei, den Betroffenen Recht und Gerechtigkeit zu verweigern. Das mag naiv klingen: Doch ist es wirklich naiv, wenn man angesichts tausendfacher, schwerer Menschenrechtsverletzungen in der Verantwortung einer anerkannten und privilegierten Körperschaft den Glauben an das Recht nicht aufgeben möchte? Man möchte einfach hoffen, dass es sich als stärker erweist als die Winkelzüge einer immer noch machtvollen Institution, die vor ihrer Verantwortung davonläuft.