Nationale Dunkelfeldstudie verdeutlicht das Ausmaß sexualisierter Gewalt an Kindern
Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit hat heute, am 2. Juni 2025, eine repräsentative, nationale Dunkelfeldstudie zur sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche veröffentlicht. Durch diese wird das erschütternde Ausmaß eines lange verdrängten Problems in Deutschland sichtbar: Fast 13 Prozent der befragten Erwachsenen gaben an, in ihrer Kindheit oder Jugend sexualisierte Gewalt erlebt zu haben – das entspricht rund 5,7 Millionen Menschen im Alter zwischen 18 und 59 Jahren. Besonders häufig betroffen sind Frauen (20,6 %), unter jungen Frauen zwischen 18 und 29 Jahren sogar über ein Viertel (27,4 %). Die meisten Taten fanden im familiären Umfeld statt – einem Ort, der eigentlich Schutz bieten sollte. Weitere Tatkontexte sind Institutionen wie die katholische und evangelische Kirche, Sportvereine, Schulen und Heime.
Diese Ergebnisse zeigt die repräsentative Studie, die vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit initiiert und im Rahmen des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit zusammen mit der Kinder-und Jugendpsychiatrischen Klinik in Ulm und dem Kriminologischen Institut in Heidelberg in Kooperation mit dem Umfrageinstitut infratest dimap durchgeführt wurde. Die Studie wurde mit Eigenmitteln der wissenschaftlichen Institute sowie mit finanzieller Unterstützung der WEISSER RING Stiftung, des Vereins Eckiger Tisch sowie des Kinderschutzbunds finanziert.
Ein weiteres zentrales Ergebnis: Digitale Kanäle wie Messenger, soziale Netzwerke und Chats spielen bei fast einem Drittel der Fälle eine Rolle. Die ungewollte Zusendung pornografischen Materials oder das Erpressen von sexuellen Inhalten sind nur einige der Formen digitaler Gewalt, die Kinder und Jugendliche heute zusätzlich bedrohen.
Trotz gewachsener gesellschaftlicher Sensibilität bleibt das Dunkelfeld groß: Über ein Drittel der Betroffenen hat nie über das Erlebte gesprochen – aus Angst, Scham oder dem Gefühl, nicht gehört zu werden. Die psychischen Folgen dieser Gewalt sind gravierend und reichen bis weit ins Erwachsenenleben hinein.
Betroffene von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend haben in den letzten Jahren entscheidend dazu beigetragen, das Dunkelfeld aufzuhellen, das für diese tabuisierten Verbrechen typisch ist. Die Spitze des Eisbergs wurde dadurch sichtbar und die Umrisse des Problems zeichneten sich ab. Mit den jetzt vorgelegten Zahlen sehen wir erneut klarer.
Aus diesen Studienergebnisse ergibt sich aus Perspektive von Eckiger Tisch demnach ein deutlicher Handlungsauftrag an Politik und Gesellschaft: Jetzt kommt es darauf an, das ganze Ausmaß dieser Katastrophe tatsächlich wahrzunehmen. und Maßnahmen zu etablieren, um künftig Jungen und Mädchen besser zu schützen. Denn sexueller Kindesmissbrauch ist eben nicht nur individuelles Schicksal, sondern ein fortdauernder gesellschaftlicher Skandal. Es hört nicht auf.
Wir fordern eine gesellschaftspolitische Kraftanstrengung, um Kinder künftig besser zu schützen – nicht nur durch mehr Prävention, sondern auch durch institutionelle Aufarbeitung und konkrete Hilfen für Betroffene.
Insbesondere Institutionen haben eine doppelte Verantwortung: Zum einen müssen sie sich mit ihren eigenen Risiken als Tatorte auseinandersetzen, zum anderen müssen sie zu sicheren Anlaufstellen für betroffene Kinder und Jugendliche werden. Eckiger Tisch fordert daher eine flächendeckende, verlässliche Versorgung mit Beratung, therapeutischer Hilfe und Entschädigung – als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Ein zentraler Punkt: Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt darf nicht länger von einzelnen Einrichtungen abhängen. Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hat gezeigt, wie wichtig eine umfassende und transparente Aufarbeitung für Prävention und Gerechtigkeit ist. Daher müssen Studien künftig bistumsübergreifend und vergleichbar erhoben und ausgewertet werden. Auch andere Institutionen – wie Schulen, Heime, Sportvereine oder Jugendhilfe – sind gefordert, sich ihrer Verantwortung und Vergangenheit zu stellen.
Wichtige Instrumente dafür, wie das Amt der unabhängigen Beauftragten, unterstützt von einem Betroffenenrat, sowie eine unabhängige Aufarbeitungskommission auf Bundesebene sind in den letzten Jahren entstanden und wurden kürzlich gesetzlich abgesichert. Jetzt geht es um die ausreichende Ausstattung, klare Befugnisse und Aufgabenbeschreibungen für diese Strukturen.
Wir brauchen eine gesellschaftspolitische Kraftanstrengung, damit die nächste Generation sicher vor sexueller Gewalt aufwachsen kann. Wie ernst es uns allen damit ist, wird sich zuallererst im Umgang mit den Betroffenen zeigen. Opfer und Überlebenden dieser Gewalt warten auf ausgleichende Gerechtigkeit durch geeignete Hilfen und angemessene Entschädigungen.
Mehr Informationen zur Studie finden Sie beim Zentralinstitut für seelische Gesundheit.
Hier finden Sie die vollständige Studie: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche – Deutsches Ärzteblatt