Stück über Missbrauch in der Kirche „Ödipus Exzellenz“ am Theater Osnabrück abgesagt
Ende Juni wurde am Theater Osnabrück die geplante Eröffnungsproduktion der neuen Spielzeit, Ödipus Exzellenz, kurzfristig abgesetzt. Die Zusammenarbeit mit dem Regieteam um Regisseur Lorenz Nolting, Dramaturgin Sofie Boiten und den in künstlerischen Leitung mitwirkenden Betroffenen Karl Haucke wurde von Seiten der Intendanz beendet.
Das Stück sollte die antike Ödipus-Tragödie als Spiegel auf die katholische Kirche richten – auf ihre Schuld, jahrzehntelang wegzusehen und Missbrauch zu vertuschen.
Streit um die Inszenierung
Kern des Konflikts war die geplante Darstellung einer katholischen Messe auf der Bühne. Laut NDR spricht Regisseur Lorenz Nolting von einem klaren Verbot durch den Intendanten Ulrich Mokrusch, „einen katholischen Gottesdienst oder Elemente der katholischen Liturgie im Kontext eines Stückes über sexualisierte Gewalt und deren Vertuschung innerhalb der Kirche auf der Bühne darzustellen.“ Des Weiteren erläutert der Regisseur Nolting in seinem Statement gegenüber dem NDR: „Dieses Verbot und weitere vom Intendanten getätigte Äußerungen ließen uns stark an seiner Neutralität in diesem sensiblen Thema zweifeln.“
Der Intendant Mokrusch kritisierte die künstlerische Umsetzung und Darstellung des Gottesdienstes als „[…] theatral unterkomplex, also künstlerisch nicht interessant. Aber das Entscheidende war, dass ich den Eindruck hatte, dass da zentrale Glaubensinhalte für einen theatralen Effekt benutzt werden.“ und begründete die Entscheidung unter anderem mit dem Schutz christlicher Gefühle im Publikum.
Am Ende waren die Differenzen für eine weitere Zusammenarbeit unüberbrückbar und der Intendant Mokrusch beendete die Zusammenarbeit mit dem künstlerischen Team.
Mehr dazu im Beitrag des NDRs: NDR (25.07.2025): Stück abgesagt, Regieteam gefeuert – Zoff am Theater Osnabrück
Stellungnahme des Missbrauchsbetroffenen Karl Haucke
Karl Haucke, selbst Betroffener, hatte seine Expertise in die Stückentwicklung eingebracht. Er wollte mit dem Stück zeigen, wie Machtstrukturen und Hierarchien Missbrauch begünstigen – und „wie die Beteiligten nach und nach unter wachsendem Druck des Bekanntwerdens der Situation den zivilen Umgang mit dem Betroffenen aufkündigen.“
Die geplante Inszenierung bestimmter Szenen im Stück begründet er mit der Schmerzhaftigkeit, die mit Aufarbeitung einhergehen muss: „Anstöße zur Aufarbeitung wirken nur nachhaltig, wenn sie weh tun. Ich suche nicht schonende Worte, zustimmungsfähige Szenen, damit die Zuschauenden leichter ertragen können, welche Tat- und Verdunkelungsstrategien Vertreter der Kirche entwickelt haben.“
Das Verbot durch den Intendanten bezüglich bestimmter Szenen bezeichnet er als Fortsetzung dessen, was die Sozialforschung epistemisches Unrecht nennt: das Schweigegebot, das Täter, Familien oder kirchliche Strukturen Betroffenen auferlegen – oft ein Leben lang.
Wie sehr darf Kunst schmerzen?
Für Karl Haucke ist klar: „Kunst muss aufrütteln. Ja, wir müssen Worte wählen, Bilder, Szenen, Versatzstücke aus der Wirklichkeit wählen, die schmerzen. Sonst wird niemand wach.“ Die liturgischen Rituale seien untrennbar mit dem Tatkontext vieler Missbrauchsfälle in der Kirche verbunden. Wer Rituale und Symbole sie aus der Darstellung verbannt, verschweigt auch Teile der Realität.