Neue Studie zu sexuellem Missbrauch in der Schule: Betroffene Schüler*innen werden alleingelassen

Die Unabhängige Kommission des Bundes zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat am 3. Dezember eine neue Fallstudie zu Missbrauch an deutschen Schulen veröffentlicht.

2022 hatte die Kommission im Vorfeld Betroffene und Zeug*innen aufgerufen, ihre Erfahrungen zu teilen: Die Studie basiert auf 133 Berichten von Betroffenen, die zwischen 1949 und 2010 sexualisierte Gewalt in der Schule erlebt haben. Rund 80 Prozent der befragten Opfer waren weiblich – 98 Prozent der Täter männlich. Die meisten Übergriffe wurden durch Lehrkräften verübt, doch in mehreren Fällen ging die Gewalt auch von Mitschüler*innen aus.

Die Studie zeigt: In den meisten Fällen vermuteten die Betroffenen, dass andere Personen an der Schule vom Missbrauch wussten. Mitwissende sollen aber „Kollegialität vor den Schutz der Kinder gestellt haben, Übergriffe ignoriert oder sogar vertuscht haben, um den Ruf der Schule zu schützen.“, so die Kommission bei der Vorstellung der Ergebnisse.

Ein aufgeführter Fall beschreibt zum Beispiel, wie ein Sportlehrer in den 90er-Jahren regelmäßig in der Mädchenumkleide erschien, wenn die Schülerinnen sich grade umzogen. Beschwerden beim besagten Lehrer und auch bei der Klassenlehrerin wurden belacht und runtergespielt. Als ein dritter vertrauter Lehrer (Björn) auf das Verhalten aufmerksam wurde und den Sportlehrer mit einer weiteren Kollegin zur Rede stellte, reagierte nicht nur dieser aggressiv – auch die Schulleitung rügte Björn dafür, „den Ruf der Schule kaputt zu machen“ und berief eine Konferenz ein, in der er sich beim Täter entschuldigen musste. Eine Personalrätin warf ihm vor, das Leben des Täters ruiniert zu haben und andere Koleg*innen grenzten Björn monatelang aus.

Diese und weitere Fallgeschichten zeigen, dass Meldungen von sexueller Belästigung und Missbrauch an Schulen von verantwortlichen Aufsichtspersonen nicht ernst genommen werden. Wie auch in anderen Kontexten sexuellen Missbrauchs geht der Schutz der Beschuldigten vor den Schutz der betroffenen Schüler*innen.

Ohne die notwendige Unterstützung mussten viele der Betroffenen letztendlich selbst Wege finden, der Gewalt zu entkommen – häufig indem sie Schule schwänzten oder eine Klasse wiederholten. Für die meisten war außerdem die schulische Leistung durch den Missbrauch nachhaltig eingeschränkt.

Die Studie kritisiert den mangelhaften Stand der Missbrauchsaufarbeitung im schulischen Kontext, die bisher vorrangig durch einige wenige Betroffene selbst angetrieben wird. Die Kommission empfiehlt eine klare Festlegung der Zuständigkeiten für die drei Felder Prävention, Intervention und Aufarbeitung:

Auf individueller Ebene sollen Betroffene durch unabhängige, aber institutionskundige Personen unterstützt werden, während es auf institutioneller Ebene klare Handlungsanweisungen für Schulen und von der Schulverwaltung unabhängige Einrichtungen benötigt.

Fallstudie: Sexualisierte Gewalt und Schule