Matthias Katsch im Interview: Über Missbrauch, Aufarbeitung und die Macht der Kirche
Im Sommer 2025 wurde Geschäftsführer und Sprecher von Eckiger Tisch e.V., Matthias Katsch, vom LGBTQ+-Magazin MANNSCHAFT interviewt. Im Gespräch redet er offen über seine persönlichen Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch, seinen Aktivismus und über strukturelle Probleme innerhalb der katholischen Kirche.
Der lange Weg vom Schweigen zur Stimme
Im Mittelpunkt des Interviews steht Katschs eigene Biografie. Als Schüler am Canisius-Kolleg wurde er in den 1970er Jahren von zwei Jesuitenpriestern „gegroomed“ (Grooming: eine sexuelle Grenzüberschreitung oder einen sexuellen Kindesmissbrauch geplant vorbereiten) und missbraucht. Über Jahrzehnte schwieg Katsch darüber, wie viele andere Betroffene auch. Erst ein zufälliges Wiedersehen mit einem der Täter brachte die Erinnerung zurück. Im Gespräch mit ehemaligen Mitschülern stellte er schließlich fest, dass er nicht allein war. Gemeinsam appellierten die Betroffenen an Pater Klaus Mertes, den damaligen Schulleiter des Kollegs, der in einem Brief 2010 ehemalige Mitschüler mit Missbrauchserfahrungen bat, sich zu melden. Die Veröffentlichung dieses Briefs war der Auslöser für eine Welle der Aufdeckung, die bis heute anhält.
Aus den mobilisierten Betroffenen entstand im selben Jahr die Initiative Eckiger Tisch e.V., die sich seither für Betroffene sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche einsetzt.
Wenn die Empörten gehen – wer bleibt dann?
Katsch thematisiert im Interview nicht nur das individuelle Leid der Betroffenen, sondern auch die strukturellen Ursachen für das jahrzehntelange Versagen der Institution Kirche: Machtmissbrauch, Klerikalismus, Homophobie, Intransparenz. Besonders kritisch sieht er das Machtgefälle zwischen Klerikern und Lai*innen sowie den Umgang der Kirche mit Sexualität. Queere Jugendliche seien besonders verletzlich wegen des zusätzlichen „Erpressungsfaktors“ des Outings.
Obwohl er selbst seit Jahren kein Mitglied der Kirche mehr ist, sind die massenhaften Austritte infolge der Skandale für ihn kein Grund zur Genugtuung: Wenn all jene die Kirche verlassen, die Veränderung wollen, bleibe die Reform aus. Und um Kinder und Jugendliche künftig zu schützen, brauche es eine konsequente strukturelle Aufarbeitung.
Scham, Verdrängung und die lange Dauer der Verarbeitung
Ein zentrales Thema ist die psychische Dynamik von Missbrauch. Viele Betroffene verdrängen ihre Erlebnisse über Jahrzehnte: ein Überlebensmechanismus, der jedoch auch Täter schützt und die öffentliche Aufarbeitung verzögert. Erst wenn äußere Auslöser – etwa das eigene Elternsein – Erinnerungen hervorrufen, wird das Erlebte greifbar. Katsch beschreibt eindrücklich, wie Musik, Literatur und Fantasie ihm halfen, emotional zu überleben und keine Alkoholabhängigkeit zu entwickeln.
Entschädigung: Eine Frage der Gerechtigkeit
Katsch kritisiert frühere Entschädigungszahlungen der Kirche von 5.000 Euro als „beleidigend niedrig“. Inzwischen sprechen Gerichte deutlich höhere Beträge aus, wie ein Urteil aus Köln mit 300.000 Euro Schmerzensgeld zeigt. Dennoch bleibt die Frage, wie das durch Missbrauch verursachte Leid mit all seinen psychischen, sozialen und physischen Langzeitfolgen überhaupt angemessen bewertet werden kann.
Der Blick über Deutschland hinaus
Neben der Kritik an der deutschen Aufarbeitung lobt Katsch positive Beispiele, etwa aus der Schweiz, wo Lai*innen in kirchlichen Gremien echte Kontrollrechte haben. Dort laufen derzeit außerdem umfassende historische Studien, unterstützt von Universität und Zivilgesellschaft.
International fordert der Eckige Tisch gemeinsam mit der Betroffeneninitiative ECA (Ending Clergy Abuse) eine Null-Toleranz-Politik gegenüber sexueller Gewalt. Papst Franziskus habe zu viel Diskussion erlaubt. Während sich der neue Papst Leo XIV zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht zum Thema geäußert hatte, sind seine Aussagen aus einem kürzlichen Interview mit Crux eher ernüchternd.
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