Nach der Klage: Melanie F. erhält überraschend 290.000€ von der Kirche
Melanie F. (60) wurde als Pflegetochter in der Obhut des Priesters Ue. schwer sexuell missbraucht. Ihr Täter wurde erst Jahrzehnte später für 72 weitere Missbrauchsfälle zu 12 Jahren Haft verurteilt. Da ihr eigener Fall wegen Verjährung nicht mehr in das Urteil einfließen konnte, entschloss sie sich, das Erzbistum Köln als verantwortlichen Arbeitgeber von Ue. auf 850.000€ Schmerzensgeld zu verklagen.
Das Urteil des Landgerichts Köln: Die Kirche haftet nicht, da Ue. seine Taten nicht in Ausübung seines Amtes, sondern als Privatperson begangen hat.
Melanie F. und ihre Anwält*innen gingen in Berufung. Wie Kirchenrechtler Thomas Schüller es gegenüber dem WDR ausdrückt: „Es geht nicht, dass ein Priester sein Amt nutzt, um das Vertrauen der Kinder und des Jugendamtes zu gewinnen, aber dann beim Missbrauch plötzlich nur als Privatmann gehandelt haben soll.“ Das Urteil bezeichnet er als „Blamage“ und „Skandal.“
Jetzt hat die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) plötzlich 290.000€ an Melanie F. ausgezahlt – nur wenige Monate nach Einlegung der Berufung. Zuvor hatte die Untersuchung der UKA eine sogenannte Anerkennung des Leids von nur 70.000€ ausgezahlt. Insgesamt hat sie daher 360.000€ von der UKA erhalten. Matthias Katsch, Sprecher und Geschäftsführer von Eckiger Tisch, kommentiert im Interview mit dem WDR: „Die Kirche reagiert leider nur auf Druck. Erst als sie Klage auf eine deutlich höhere Summe erhoben hat, ist es zu dieser überraschenden Zahlung gekommen.“
Die UKA orientiert sich bei der Bemessung von Anerkennungsleistungen laut eigener Aussage an bisherigen gerichtlichen Urteilen zum Sachverhalt. Eins der wenigen rechtskräftigen Urteile wurde 2023 ebenfalls im Bistum Köln gefällt: Die Kirche musste dem Kläger 300.000€ zahlen.
Die Leistungen sollen einerseits das Leid und Unrecht anerkennen, das den Betroffen angetan wurde – anderseits leiden Betroffene oft ein Leben lang an den Folgen des Missbrauchs, die alle Lebensbereiche beeinflussten können: schulisch, beruflich, privat, gesundheitlich. Das Geld soll also auch einen materiellen Ausgleich schaffen.
Doch laut Katsch sind Anerkennungsleistungen wie die für Melanie F. die Ausnahme. Weit über die Hälfte der Zahlungen lägen unter 20.000€. Eine Kritik sei, dass das Verfahren weniger eloquente Betroffene, die ihre Lage schlechter beschreiben können, benachteilige. Die Betroffenen werden durch die Kommission nicht selbst angehört, sondern nach schriftlichen Unterlagen beurteilt, was zu diesen unbefriedigenden Zahlungen führe – und das oft nach jahrelanger Auseinandersetzung mit dem eigenen Fall. Auch sei nicht nachvollziehbar, wie die jeweilige Summe erreicht wurde.
„Das Verfahren funktioniert nicht richtig. Es ist nicht transparent, nicht so zugänglich wie es sein müsste.“, so Katsch. In einem Positionspapier dieses Jahr liefert Eckiger Tisch konkrete Lösungsvorschläge für die Probleme mit dem aktuellen Verfahren.
Melanie F. will trotz der Zahlung an der Klage gegen das Erzbistum Köln festhalten. Es ginge ihr dabei nicht mehr Geld, sondern um die offizielle Anerkennung davon, dass die Verantwortlichen der Kirche Fehler gemacht haben.
Die Anwälte von Melanie F. haben die Berufung im Schmerzensgeldprozess gegen das Erzbistum Köln bereits im Oktober eingereicht: Dank der großen Solidarität der vielen Unterstützer*innen konnte Eckiger Tisch mit den bisher eingegangenen Spenden die erste Teilzahlung von 22.000 Euro an das Gericht leisten.
Der Prozess ist wichtig für alle Betroffenen. Es geht dabei um Verantwortung und darum, dass Kirche und Staat ihre Schutzpflicht gegenüber Kindern und Jugendlichen ernst nehmen müssen. Auch und gerade dann, wenn sie selbst versagt haben.
Genaueres zum Fall Melanie F. finden Sie hier.