Kardinal Prevost und der Umgang mit Missbrauch – Erwartungen an Papst Leo
Wir geben dem Papst aufgrund seines Einsatzes für die Opfer der aufgelösten katholischen Sekte Sodalicio, einen Vertrauensvorschuss, weil wir unseren Freunden und Verbündeten in Peru glauben, die von ihren persönlichen Erfahrungen berichtet haben, und die als durchweg positiv und hilfreich schildern.
Es wäre jedoch wenig glaubwürdig, wenn jemand, der in den vergangenen 30 Jahren in der katholischen Kirche Leitungsverantwortung getragen hat– sei es als Oberer in einer Ordensgemeinschaft oder als Bischof – keine Berührung mit Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Kleriker gehabt hätte. Dafür ist das „System aus Missbrauch und Vertuschung“ in der Kirche, wie Papst Franziskus es nannte, zu umfassend und weitverbreitet.
Die Fälle in Peru und Chicago, über die jetzt berichtet wird, scheinen aber eher zu zeigen, dass Prevost sich überwiegend korrekt verhalten hat. In den 90er Jahren in Chicago wusste er offenbar nicht, wen man ihm da als Gast in seinem Kloster untergeschoben hatte – was plausibel erscheint, da auch in zahllosen anderen Fällen, Missbrauchspriester versetzt wurden, ohne die örtlichen Gemeinden und Vorgesetzten zu informieren.
Im Fall der drei Frauen in Chiclayo im Jahr 2022 gibt es bisher keinen Anlass an den Erklärungen des Bistums zu zweifeln. Demnach hat sich Bischof Prevost mit den Betroffenen getroffen und leitete nach Abschluss der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft – die wegen Verjährung eingestellt wurden – eine Meldung an die zuständigen Glaubensbehörde in Rom weiter. Dieses Vorgehen entspricht der derzeitigen Praxis.
Verdächtig erscheint in dem Fall, dass er offenbar eine Verbindung zu einem größeren Skandal in Peru und Lateinamerika hat: zum Fall der Glaubensgemeinschafft „Sodalitium Christianae Vítae, “, einer Art katholischer Sekte innerhalb der Kirche, mit sehr speziellen Glaubensformen und einem Hang zu Geheimhaltung, in der zahlreiche Fälle von Gewalt und Missbrauch bekannt geworden sind. Der kirchliche Anwalt der betroffenen Frauen in Chiclayo war selbst Mitglied dieser Gemeinschaft. Ihm wurde im Laufe des Verfahrens von der peruanischen Bischofskonferenz seine Zulassung als Anwalt für Kirchenrecht entzogen.
Im Fall des „Sodalicio“, wie die Gemeinschaft auf Spanisch genannt wird, loben sowohl die Opfer der Gemeinschaft als auch die peruanischen Investigativjournalisten, die den Fall in den letzten 15 Jahren aufgedeckt haben, das Verhalten des 2023 nach Rom beförderten Kardinals Prevost. Ohne sein Engagement, so betonen sie, wäre es nicht zu einer Untersuchung der Gruppe und ihrer Aktivitäten durch das Duo Scicluna/Bertomeu gekommen, an dessen Ende die Auflösung des Sodalicums durch Papst Franziskus stand. Der unter „dunkelkatholischen“ Kreisen in Lateinamerika und den USA gut vernetzte Gemeinschaft wird auch die Verwicklung in Grundstücksgeschäfte und Finanzskandals vorgeworfen. Offenbar versucht sie nun durch gezielte Vorwürfe gegen Prevost, die über US-amerikanischen ultrakonservativen Webseiten vor und jetzt auch nach dem Konklave verbreitet werden, die endgültige Abwicklung der Gemeinschaft zu verhindern.
Wir bei „Ending Clergy Abuse” vertrauen den Erfahrungen, die unsere Freunde in Peru mit Kardinal Prevost gemacht haben, zugewandt und engagiert hat er demnach dafür gesorgt, dass Franziskus persönlich von den Vorwürfen erfuhr, die Betroffenen empfangen hat und schließlich die Auflösung angeordnet hat. Positive Erfahrungen haben sie im Übrigen auch mit der erst vor kurzen von Franziskus eingesetzten Präfektin für die geistlichen Gemeinschaften gemacht.
Wir schauen also mit vorsichtigem Optimismus auf das Pontifikat von Papst Leo. Wir haben aber auch klare Erwartungen an ihn:
– Die kirchlichen Verfahren im Umgang mit Tätern müssen endlich systematisiert und transparent gemacht werden. Die bestehenden kirchlichen Regelungen müssen dazu auch durchgesetzt werden und wo nötig ergänzt werden. Alle Bischöfe und Ordensoberen sollten künftig regelmäßig Rechenschaft ablegen über die Zahl der Fälle in ihrer Verantwortung und ihren Umgang damit.
– 18 Priester in der Glaubensbehörde in Rom können nicht Missbrauchsfälle in aller Welt verfolgen. Hier stimmen wir P. Zollner ausdrücklich zu, welcher dies kürzlich öffentlich beklagt hat. Es lässt sich gerade auch an dem Fall von 2022 im Bistum Chiclayo ablesen.
Die Zahl der Mitarbeiter muss erhöht werden, es müssen auch Laien einbezogen werden und das heißt auch Frauen.
– Um die Umsetzung der Gesetze und Verfahrensanordnungen weltweit vor Ort zu verbessern, sollten regional Gerichtshöfe eingerichtet werden, die näher dran sind, Meldungen besser und vor allem schneller untersuchen und entscheiden können als die Zentrale in Rom.
– Die päpstliche Kinderschutzkommission sollte aufgewertet werden, indem sie direkt dem Papst unterstellt wird. Kinderschutz ist auch im Vatikan eine Querschnittsaufgabe, die alle angeht. Zu ihren Aufgaben sollte künftig auch die Aufarbeitung und nicht nur die Prävention gehören. Dazu muss die päpstliche Kinderschutzkommission entsprechend ausgestattet werden und mehr Experten von außerhalb des Systems einbeziehen An der Spitze sollte eine nicht-klerikale Person stehen, der auch die Betroffenen grundsätzlich vertrauen können.
– Die Archive der Kirche und der Orden in Rom müssen für Aufarbeitungsprojekte geöffnet und für Anfragen von Betroffenen zugänglich gemacht werden. Das wird eine Mammutaufgabe, da über Jahrzehnte Informationen zu tausenden von Missbrauchsfällen aus aller Welt in den vatikanischen Unterlagen gesammelt wurden.
– Wie eine angemessene Entschädigung für alle Opfer in der Kirche möglich wird, muss angegangen werden. Grundlegende Prinzipien und Verfahren müssen dazu zentral vereinbart werden. Mit Sicherheit braucht es dazu auch einen solidarischen Ausgleich zwischen den reichen Kirchen des globalen Nordens und den ärmeren Kirchen im globalen Süden.
– Schließlich: Wir erwarten, dass Papst Leo bald die Betroffenen, die seit Jahren mit Vorschlägen und Forderungen an die Leitung der Kirche vortreten, einlädt und anhört. Der Missbrauchsgipfel von 2019 sollte fortgesetzt werden: diesmal unter Einbeziehung von Betroffenen.
Die Opfer und Überlebenden sind die Expert*innen, die es dringend braucht, um eine effektive Null-Toleranz-Politik gegenüber Kindesmissbrauch praktisch umzusetzen und die Haltung in der Kirche zu verändern. Seit 2019 haben Gruppen aus aller Welt, die sich in der Initiative „Ending Clergy Abuse“ zusammengeschlossen haben, vor den Mauern des Vatikans mehrfach ihre Forderungen präsentiert und dabei das Gespräch auch mit denen, in der Kirchenverwaltung gesucht, die grundsätzlich verstanden haben, worum es geht.
Die Betroffenen machen das nicht aus persönlicher Eitelkeit. Im Gegenteil, jeder Besuch in Rom, in einem kirchlichen Umfeld, mit Priestern und Bischöfen ist wie eine Art „Expositionstherapie“ – man setzt sich dabei den eigenen traumatischen Erinnerungen an die im kirchlichen Kontext erfahrene Gewalt bewusst ein Stück weit aus. Warum? Weil wir wollen, dass es aufhört.
– Matthias Katsch, Sprecher und Geschäftsführer Eckiger Tisch