59 Betroffene zwischen 2001 und 2021: Neuer Bericht zu sexuellem Missbrauch im Bistum Trier verzeichnet schwere Mängel bei der Aufarbeitung

Die Historiker*innen Lena Haase und Lutz Raphael der Universität Trier haben am Donnerstag, den 30.10., den dritten Zwischenbericht einer größeren Studie zu sexuellem Missbrauch im Verantwortungsbereich der Diözese Trier veröffentlicht.

Er verzeichnet 38 Beschuldigte und mindestens 59 Betroffene im Zeitraum 2001 bis 2021, der die Amtszeit des aktuellen Bischofs Ackermann und seines Vorgängers Reinhard Marx (2002 bis 2008) umfasst. Die Ergebnisse beruhen auf 1.279 ausgewerteten Aktenbänden und 30 Gesprächen mit Betroffenen sowie Zeitzeug*innen.

Die Forschenden bemängeln eine unzureichende Kommunikation mit Betroffenen, Gemeinden und der Öffentlichkeit sowie eine unsystematische Aktenführung und eine mangelhafte Weitergabe von Informationen zwischen den Bistümern. Auch im Bereich der Personalführung fehlte es an ausreichender Kontrolle bei Versetzungen in Pflegeheime oder Krankenhäuser. Teilweise wurde dabei die Fürsorgepflicht gegenüber den Tätern höher gewichtet als das öffentliche Sicherheitsbedürfnis.

Vor allem unter Marx wurden schwere Mängel in der Aufarbeitung festgestellt. Bei 21 Tätern und 35 minderjährigen Betroffenen war kein einziger Fall an die Strafverfolgungsbehörden gemeldet worden. Außerdem waren innerhalb der Diozöse statt schematischem Vorgehen lediglich Einzelfallprüfungen durchgeführt worden. Generell spricht der Bericht von fehlenden Sanktionen und einer „pastoralen Milde“ mit den Tätern; in mindestens vier Fällen gab es für diese keinerlei Konsequenzen. Für die Betroffenen hingegen gab es kaum Fürsorge – nur in zwei bekannten Fällen war Hilfe angeboten worden.

Unter Bischof Ackermann, der von 2010 bis 2022 Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz war, soll sich die Lage etwas verbessert haben: weniger Übergriffe und kürzere Verzögerungen zwischen Taten und Meldungen. Dennoch sind in seiner Amtszeit mindestens 24 Personen missbraucht worden und die Forschenden kritisierten auch hier eine unzureichende Kommunikation und Transparenz sowie eine weiterhin problematische Personalpolitik.

Neben dem Aufbau professionellerer Aufarbeitungsstrukturen im Bistum sind die Verbesserungen unter Bischof Ackermann wahrscheinlich vor allem auf die verstärkte gesellschaftliche Aufmerksamkeit und dem unermüdlichen Aktivismus Betroffener nach dem Missbrauchsskandal 2010 zurückzuführen.

Matthias Katsch, Geschäftsführer von Eckiger Tisch, kommentiert nach der Pressekonferenz zum Bericht: „Bischof Ackermann und das Bistum haben einen 15-jährigen Lernprozess hinter sich. Es ist überfällig, dass er sich dafür bei denen bedankt, die mit unglaublicher Geduld und Hartnäckigkeit auf ihn eingewirkt und diesen Lernprozess begleitet haben: bei den Betroffenen, namentlich der Betroffeneninitiative in Trier MissBiT. Diesen Betroffenen, die seit vielen Jahren aktivistisch in eigener Sache und zum Schutz heutiger Kinder und Jugendlichen tätig sind, hat der Bischof viel zu verdanken. Es wird Zeit, dass er das einmal ausdrücklich anerkennt. Ohne den beständigen Druck hätte sich wenig bewegt.“

Auch drückt er angesichts der absoluten und relativen Zahlen des Berichts Unverständnis dafür aus, dass Marx und Ackermann erst 2018 mit der Veröffentlichung der MHG-Studie das Ausmaß des Problems und seine systemische Dimension erkannt haben. „Wenn bis zu 16% der Priester eines Weihejahrgangs in den eigenen Unterlagen als des Missbrauchs von Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen verdächtig sind, dann übertrifft dies bisherige Annahmen deutlich, die eher von durchschnittlich 5% ausgegangen waren.“, so Katsch. Dennoch wären Täter unter den beiden Bischöfen mit allen Mitteln im Priesterstand gehalten worden; man habe unentwegt neue Funktionen und Aufgaben für sie gesucht.

Laut Haase und Raphael sollen für den Gesamtzeitraum der Studie (1946 bis 2021) bereits 734 Betroffene und 246 Beschuldigte bekannt sein. Die Dunkelziffer sei wahrscheinlich noch höher. Außerdem fehle noch die detaillierte Untersuchung des Zeitraums von 1946 bis 1967. Dieser komme im Abschlussbericht vor, dessen Veröffentlichung für Ende 2026 geplant ist.