Papst Leo XIV im Interview: „Wir können nicht die ganze Kirche dazu bringen, sich ausschließlich auf dieses Thema zu konzentrieren“

Mit seinem ersten ausführlichen Interview mit Crux positioniert sich Papst Leo XIV zu kirchenpolitischen Themen und hat damit bei progressiveren Stimmen für Unmut gesorgt: Unter dem neuen Papst wird es zu der Stellung von Frauen und queeren Menschen in der katholischen Kirche scheinbar keine Reformen geben. Auch zu seiner Strategie im Umgang mit der Missbrauchskrise wurde er befragt – und gab ernüchternde Antworten.
Obwohl Papst Leo anerkennt, dass Betroffene mit Respekt und Verständnis für ihr Leid behandelt werden sollten, argumentiert er im Interview, man könne das Leid nicht mit finanziellen Mitteln ,entschädigen‘: „Es wäre naiv von mir oder von irgendjemandem zu glauben, dass, wenn wir ihnen eine finanzielle Entschädigung gezahlt oder uns um die Ursache gekümmert haben und der Priester entlassen wurde, diese Wunden dadurch verschwinden würden.“
Dass Entschädigungszahlungen keine wortwörtliche Wiedergutmachung sind, bedeutet nicht, dass die Kirche sich dadurch in eine vermeintliche Handlungsunfähigkeit flüchten darf und damit die Verantwortung für die Taten ihrer Priester nicht übernimmt. Eine Entschädigung ist zusammen mit Aufarbeitung, Prävention und Hilfe für Betroffene elementar, um als Institution echte Verantwortung für die zahlreichen Missbrauchstaten zu übernehmen.
„Die Kirche hat zweifellos versucht, neue Gesetze zu erlassen“
Die belastende Dauer von Prozessen für Betroffene begründet Papst Leo damit, dass Gerichtsverfahren überall auf der Welt lang brauchen. Laut ihm hat die Kirche bereits versucht die Prozesse für Betroffene mit neuen Gesetzen zu beschleunigen. Auch hier klingt die Situation aber einfacher, als sie tatsächlich ist: Wandel war bisher nur durch Druck von außen möglich und den Betroffenen werden von vielen Akteuren innerhalb der Kirche immer wieder Steine in den Weg gelegt. In Deutschland berufen sich beispielsweise einige Bischöfe in Schmerzensgeldprozessen auf die Einrede der Verjährung – nachdem die Fälle systematisch bis zum Punkt der Verjährung vertuscht wurden. Laut MHG-Studie im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz (2018) wurden Diözesanpriester überzufällig häufig versetzt. Tatsächlich wurden und werden Täter von der Kirche häufig beschützt, in andere Gemeinden gesandt und ihre Verbrechen vertuscht.
„Priester müssen auch geschützt werden“
Während des Interviews richtet Papst Leo den Fokus von den Betroffenen auf ‚fälschlicherweise beschuldigte Priester‘: „Auch die Beschuldigten haben Rechte, und viele von ihnen sind der Meinung, dass diese Rechte nicht respektiert wurden. Statistiken zeigen, dass weit über 90% der Personen, die sich melden und Anschuldigungen erheben, tatsächlich Opfer sind […], aber es gibt auch nachgewiesene Fälle von falschen Anschuldigungen. Es gibt Priester, deren Leben dadurch zerstört wurde. […] Priester müssen auch geschützt werden.“
Wie Papst Leo selbst anmerkt erweisen sich über 90 Prozent der gemeldeten Fälle als zutreffend. Von einem systematischen Problem falscher Anschuldigungen kann daher keine Rede sein. Mit dieser Aussage wird damit der Fokus der Debatte verschoben, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der Betroffenen noch immer keine Gerechtigkeit erfahren hat und viele sich aus Scham und Angst vor Unglauben oder (re)traumatisierenden Prozessen nicht einmal trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Verantwortung der katholischen Kirche sollte daher primär bei der Aufarbeitung für die etlichen Betroffenen liegen. Vor allem, nachdem sie Täter jahrelang systematisch geschützt hat und Missbrauchstaten vertuscht hat.
Für den Papst hat die Kirche in erster Linie eine Aufgabe: Das Evangelium verkünden. Seine Haltung ist klar: „Wir können nicht die ganze Kirche dazu bringen, sich ausschließlich auf dieses Thema zu konzentrieren.“ Unter Leo XIV scheint die Aufarbeitung der Missbrauchskrise damit kein zentrales Anliegen zu sein.