Zwischenruf: Schock und Scham – schon wieder

Von Matthias Katsch

Erst der Chef des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, der als Missbrauchstäter und -vertuscher entlarvt wurde, dann der Chef des Kindermissionswerks der Stern­singer, jetzt die verstörenden Bilder über den Gründer eines Afrika-Hilfs­vereins und Ehrendomherrn: Was Bischof Emil Stehle, Prälat Winfried Pilz und Ehrendomherr Edmund Dillinger gemeinsam haben, außer dass es sich um katho­lische Priester handelte? Sie führten ein skrupelloses Doppelleben und haben vielen Menschen sexuelle Gewalt angetan, was erst nach ihrem Tod für die Öffentlichkeit offenbar wurde. Sie waren an herausgehobener Stelle tätig und genossen eine gewisse Promi­nenz. Und dann ist da ihr auffälliges Engagement für die sog. Dritte Welt, den globalen zumeist armen Süden.

Letztes Jahr wurde durch eine Aktenuntersuchung bei der Vermittlungsstelle der Bischofskonferenz bekannt, dass über Jahrzehnte Priester, die in Deutschland sexuelle Übergriffe an Kindern und Jugendlichen begangen hatten, heimlich nach Südamerika verschoben worden waren, direkt unter den Augen der Justiz und manchmal hinter ihrem Rücken. Sogar Identitäten wurden dazu gefälscht.

Es zeichnet sich ein Muster ab. Das Engagement für die Entwicklungszusammen­arbeit der Kirchen muss dringend daraufhin überprüft werden, inwieweit hier Gelegenheitsstrukturen für Täter entstanden sind oder gar geschaffen wurden. Wurden möglicherweise auch in anderen Institutionen Täter „in der Mission“ in Sicherheit versteckt? Gerade auch im Interesse der vielen guten und notwendigen Initiativen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Elend und Leid zu lindern.

Die Vorstellung, dass mit Spendengeldern von Gläubigen und gefördert mit vielen Millionen vom Staat, Missbrauchstätern Zugriffsmöglichkeiten auf besonders vulnerable Kinder und Jugendliche in Armutskontexten geschaffen wurden, macht zornig – entbehrt aber auch nicht einer perfiden Logik.

Und es ist wieder dem Zufall und dem Engagement einzelner Personen zu verdan­ken, dass grausame Taten entdeckt und öffentlich gemacht werden, während die Amtskirche selbst schon lange von den Verbrechen wusste. Hofft diese Kirche immer noch, dass sie sich durchmogeln kann, dass es vielleicht am Ende keiner merkt, dass die Taten in Vergessenheit geraten, weil es der Staat nicht wirklich wissen will und die Aufklärung weiterhin der Kirche selbst überlässt?

Der Fall des Priesters Edmund Dillinger wirft viele Fragen auf zum Umgang der Bischöfe mit Tätern in den eigenen Reihen. Als Begründung dafür, dass man sie nicht aus dem Priesterstand entfernt, wird von Kirchenvertretern ja gerne ange­bracht, dass man besser auf sie aufpassen kann, wenn man sie bei sich behält. Im Ernst?

Wenn aber gerade ihr Priestersein sie überhaupt erst zu Tätern hat werden lassen? Wird damit nicht die Risikosituation verlängert oder verlagert? Sollen Täter am Re­den gehindert werden, indem man sie ruhigstellt: Wir zahlen weiter deine Pen­sion und Du hältst die Klappe darüber, wer Dich geschützt hat, wer Dir geholfen hat. Aufklärung und Aufarbeitung steht auch hier noch am Anfang.

Schließlich der Umgang mit den Hinterlassenschaften der Täter: Hunderte von Bildern und Filmen auf denen sie ihre Verbrechen dokumentiert haben. Was soll damit geschehen? Der Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und Darstel­lungen davon wird ja immer noch nicht ausreichend gesehen. Teile des Materials vorzuzeigen, um die Dramatik des Fundes zu dokumentieren – wie es die Journalis­ten in Koblenz dieser Tage getan haben − war von daher notwendig.

Auf jeden Fall muss aber verhindert werden, dass dieses Material in den Kreislauf der globalen digitalen Missbrauchsdarstellungsindustrie eingespeist wird. Denn dort zirkulieren schon unzählige Abbildungen von sexueller Gewalt, von Kindesmiss­brauch und beschämt die Opfer dieser Verbrechen.

Also einfach vernichten, wie es jetzt von Seiten der Kirche heißt? Nicht so schnell: Dazu könnte das Material noch zu viele Geheimnisse bergen. Stattdessen sollte die Staatsanwaltschaft das Material unter Verschluss nehmen, auswerten lassen und für Ermittlungen verwenden. Sollte tatsächlich alles zu lange her sein, so ist das Material sicher für die wissenschaftliche Bearbeitung von Bedeutung.

Vor allem aber: Für potenziell Betroffene in den Ländern des globalen Südens müssen Anhörungsstrukturen geschaffen werden. Wir wissen, wo die Täter im Einsatz waren, wo sie sich mutmaßlich ausgetobt haben, als ihnen der Boden in Deutschland zu heiß wurde. In Zeiten des Internets ist es kein Hexenwerk Meldemöglichkeiten für potentielle Betroffene zu schaffen. Keinesfalls darf diese im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz angelegt sein.

Diejenigen, die mit Millionenförderung durch den Staat Hilfswerke aufgebaut ha­ben, haben jetzt eine Verantwortung, den Opfern Gehör zu schenken, Betroffene aus dem Schweigen zu holen und das heißt proaktiv über die jetzt aufgedeckten Verbrechen zu kommunizieren. Auch wenn sie das zunächst ihren guten Ruf kostet. Sonst verlieren sie jede Glaubwürdigkeit. So wie die katholische Kirche in Deutsch­land und ihre Bischöfe. „Schock und Scham“ wie auch jetzt wieder reflexartig geäußert, reichen jedenfalls nicht aus.

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