Stellungnahme zu dem Schmerzensgeldprozess gegen das Erzbistum Köln
Am 02.07.2024 wurde die verschobene Verhandlung im Schmerzensgeldprozess der Missbrauchsbetroffenen Melanie F. gegen das Erzbistum Köln durchgeführt. Die Pflegetochter wurde vom ehemaligen Priesters Hans Ue. während ihrer Kindheit mehrfach missbraucht, welches zwei Abtreibungen zur Folge hatte. In diesem Prozess verklagt die Missbrauchsbetroffene das Erzbistum Köln auf 850.000 € Schmerzensgeld. Während der Verhandlung erklärten die Richter des Landesgerichts Köln, dass Sie das Erzbistum Köln nicht in der Haftung für die Missbrauchstaten sehen. Das endgültige Urteil soll im September bekannt gegeben werden. Im nachfolgenden beziehen wir Stellung auf die Argumentation des Landesgerichts und fordern eine Anerkennung der Schuld des Erzbistums Köln in dem ausstehenden Urteil.
Keine Trennung von Freizeit und Amtszeit des Priesters
Die Argumentation, dass der Missbrauch in der Freizeit des Priesters stattgefunden habe, halten wir für inkorrekt, denn das Amtsverständnis für einen Katholischen Kleriker ist umfassend. Die gesamte Lebensführung des Priesters dient dazu, seinen religiösen Auftrag auszuführen und die Botschaft seiner Kirche damit zu verkünden. Deshalb ist es absurd, wenn eine Trennung vorgenommen wird zwischen den Verbrechen, die der Priester in seiner vermeintlichen Freizeit begeht und seinem Amt und kirchlichen Auftrag. Als Priester ist er immer im Amt. Dies hätten dem Gericht die extra angereisten Professoren für Kanonisches Recht erklären können, aber der Richter hat es abgelehnt, sie überhaupt nur anzuhören.
Gänzlich absurd wird es, wenn der Priester in einem Moment das Kind vergewaltigt und demselben Kind eine Minute später die Beichte abnimmt, also seinem kirchlichen Auftrag entsprechend handelt. Hier müsste das Gericht schon eine logische Sekunde bestimmen, wo die Freizeit endet und das Amt beginnt, was nach kirchlichem Selbstverständnis aber in keinem Fall statthaft ist. Für einen Priester gibt es keine Freizeitbeschäftigungen, die im Gegensatz zu seinem Amt stehen.
Rolle des Jugendamtes
Darüber hinaus mindert auch der Verweis auf die Rolle des Jugendamtes nicht die Verantwortung des Bistums: Kein Jugendamt der Republik hätte einem alleinstehenden jungen Mann zwei minderjährige Kinder anvertraut, wenn es sich nicht um einen Priester gehandelt hätte. Demnach hat das Jugendamt also gerade im Vertrauen auf das Amt und die dahinterstehende Institution gehandelt. Das war im Rückblick sicher falsch gewesen, aber das Jugendamt durfte eben darauf vertrauen, dass die Verantwortlichen einer Körperschaft wie der Kirche, das Kindeswohl schützen werden.
Natürlich trägt der Bischof eine Mitverantwortung für das Wohl des Kindes: er hat dem Kleriker ja ausdrücklich die Pflegschaft erlaubt, obwohl es aufgrund des umfassenden Amtsverständnisses der Kirche eigentlich nach Kirchenrecht verboten ist, dass ein Priester eine Familie hat und Kinder adoptiert. Sicherlich hat der Bischof damit nicht die Erlaubnis zu privaten Aktivitäten geben wollen, sondern bejaht, dass die Annahme von Waisen eine zutiefst christliche Pflicht ist und der Priester also gerade damit, dass er die Kinder aufnimmt, seinem Verkündigungsauftrag dient, also seinem Amt gemäß handelt.
Es ist zynisch und gewissenlos, wenn die Anwälte im Auftrag des Erzbistums nun argumentieren, die Verbrechen wären im privaten Lebensbereich des Priesters begangen worden, weshalb eine Amtshaftung abzulehnen sei. Gänzlich unverständlich ist es aber, weshalb das Gericht dieser Argumentation zu folgen beabsichtigt.
Zusammenspiel von Kirche und Staat
Die Komplizenschaft zwischen Kirche und Staat zum Nachteil klerikaler Gewaltopfer geht also weiter. Die Kirche genießt in Deutschland die Freiheit sich selbst organisieren zu dürfen. Zugleich ist sie als Körperschaft öffentlichen Rechts verfasst. Je nachdem wie es ihr passt, pocht sie auf das Eine oder profitiert vom Anderen.
Die kirchliche Sonderrolle in diesem Staat ist eine politische Frage. Deshalb erwarten wir auch eine politische Lösung und hoffen, dass das Urteil im September zu einem anderen Ergebnis führt, als diese Verhandlung.
Abschließend verdeutlicht das folgende Zitat von Karl Haucke, Mitglied des Betroffenenrates bei der Unabhängigen Beauftragten für Fragen sexuellen Missbrauchs und selbst Betroffener, die Schuld der Kirche als Institution in den zahlreichen Fällen von Missbrauch und stimmt daher auch bei diesem Prozess mit unserer Stellungnahme überein:
„Seit 2.000 Jahren behaupten sie, für alles, für wirklich alles zwischen Himmel und Erde zuständig zu sein. Millionen Kinderseelen haben sie mit ihrer Ideologie der Schuld vergiftet. Und jetzt, da aus der Zuständigkeit Verantwortung werden soll, wollen sie nichts mehr damit zu tun haben. Jetzt soll das Wertesystem des Staates, das sie mit Füßen treten, ihre Verbrechen kaschieren.
Der Ekel würgt mir die 60 Jahre alten Hostien aus dem Rachen. Aber gesamtgesellschaftlich berührt es kaum jemanden.“