„Richter Gottes – Die geheimen Prozesse der Kirche“ : ECKIGER TISCH fordert Konsequenzen

„Richter Gottes – Die geheimen Prozesse der Kirche“

 

LINK ZUR REPORTAGE IN DER ARD-MEDIATHEK

 Eine Reportage über die Paralleljustiz der Kirche. Und die Folgen. Über ihre Erfahrungen berichten auch  zwei Betroffene aus dem Kreis der Initiative ECKIGER TISCH.

Zu den erschreckenden neuen Fakten über die „Karriere“ des Serien-Missbrauchstäters Peter Riedel aus Berlin und dem Verhalten des Bistums Hildesheim in dem Fall haben wir heute eine Pressemitteilung herausgegeben. Das Dokument ist hier downloadbar.


 

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 Pressemitteilung vom 30. November 2015

 Stellungnahme zur ARD-Reportage
„Richter Gottes – Die geheimen Gerichte der Kirche“:

Eckiger Tisch fordert den Rücktritt des Bischofs von Hildesheim

 

  1. Zum wiederholten Male hat sich die Kirche im Falle des Serien-Missbrauchstäters Peter R. an einem Opfer schuldig gemacht. „Was muss noch geschehen, damit die Kirche endlich aufhört, Täter in ihren Reihen zu schützen?“ Das fragen immer mehr empörte Opfer des Ex-Jesuiten, der sich in den 70er und 80er Jahren am Berliner Canisius-Kolleg an mindestens 100 Kindern und Jugend­lichen, überwiegend Jungen, vergangen hatte.Als die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Anfang März 2010 die Kirche zur Zusammenarbeit mit der Justiz aufforderte, wurde sie dafür vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz öffentlich abgekanzelt. Bischof Zollitsch forderte ultimativ eine Entschuldigung von Seiten der Bundesregierung. Zur gleichen Zeit handelten der Bischof von Hildesheim und seine Mitarbeiter genau nach dem von der Ministerin beklagten Muster: sie ermittelten eigenständig im Geheimen, führten die Justiz in die Irre, schützten den Täter zum wiederholten Male und ließen das Opfer allein.Das Vorgehen der Kirche empört uns zutiefst. Dem Mädchen wurde dadurch großer Schaden zugefügt. Die Strafverfolgung des Serien-Missbrauchstäters Peter R. wurde behindert und schließlich vereitelt. Bischof Trelle muss die Verantwortung für dieses Vorgehen übernehmen und zurücktreten.
  2. Die Berliner Staatsanwaltschaft sollte Ermittlungen gegen die Verantwortlichen des Bistums wegen Strafvereitlung durch Unterlassen einleiten.
  1. Die Umstände der Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage durch die Berliner Justiz im Falle des Ex-Jesuiten Peter R. der noch bis 2010 in Hildesheim sexuelle Übergriffe begangen hat, müssen untersucht und aufgeklärt werden. Zugleich muss geprüft werden, welche Möglichkeiten es gibt, das Verfahren gegen den Serien-Missbrauchstäter Peter R. in diesem Fall wiederaufzunehmen.
  1. Eine Schweigepflicht gilt in Deutschland nur für Mitarbeiter von Fachberatungs­stellen, Ärzte und Anwälte. Die Vorgesetzten von Missbrauchstätern hingegen müssen handeln, auch um Schaden von möglichen künftigen Opfern abzu­wen­den.Die in Deutschland fehlende gesetzliche Anzeigepflicht für Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist weltweit gesehen eine Ausnahme. Der Gesetz­geber sollte hier eine Anpassung vornehmen, damit die Arbeitgeber von Missbrauchstätern sich zukünftig nicht mehr hinter dieser eigentlich für die Beratung von Opfern g edachten Ausnahme verstecken können.
  1. Außerdem gehört die bisherige deutsche Praxis auf den Prüfstand, bei offen­sicht­lich verjährten Straftaten nicht einmal eine Ermittlung des Sachverhalts und der Beschuldigten zu unternehmen, bevor der Eintritt der Verjährung fest­gestellt wird. Nur so lassen sich Pannen wie im Verfahren gegen Peter R. sicher vermeiden, weil es dann zumindest einen Ermittlungsbericht über die ihm in der Vergangenheit zu Last gelegten Taten geben würde, der bei aktuellen Ermitt­lungen berücksichtigt werden könnte.
  2. Unabhängige Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in Institutionen in Deutsch­land ist dringend notwendig und muss endlich in Gang kommen, wie dieser Fall schmerzlich deutlich macht. Die Gesellschaft insgesamt muss sich die Frage stellen, wie sie zukünftig damit umgehen will, dass kirchliche Vorgesetzte weiterhin die Einbeziehung der Strafverfolgungsbehörden bei kirchlichen Miss­brauchstätern zu vermeiden suchen und stattdessen ihre Parallelprozesse im Verborgenen führen. Die Zeiten kirchlicher Parallelwelten müssen endlich vorbei sein! Die vielfachen, ehrlichen Anstrengungen an der Basis der katho­lischen Kirche um Prävention sexueller Gewalt durch Schutzkonzepte, Fortbildun­gen, Handlungsanleitungen usw., werden völlig entwertet, wenn zugleich bischöf­liche Heimlichtuer und Vertuscher ungestraft im Amt bleiben.

 Unsere Unterstützung und unser Mitgefühl gilt dem betroffenen Mädchen, das im Jahr 2010 (!) von Seiten der kirchlichen Institution genau dasselbe erleben musste, wie es tausende von betroffenen Jungen und Mädchen in den vergan­genen Jahrzehnten nach Missbrauch durch Priester erlebt haben:

 Die Kirche isoliert die Opfer, schützt die aus den eigenen Reihen stammenden Täter und kehrt den Missbrauch unter den Teppich.

 

Matthias Katsch
Sprecher ECKIGER TISCH

 


 

Anhang: Chronologie der Ereignisse

In der vom WDR produzierten Reportage „Richter Gottes – die geheimen Gerichte der Kirche“ wird aufgedeckt, dass mitten in der vielfach als „Zeitenwende“ erlebten Missbrauchsdebatte des Jahres 2010, enge Mitarbeiter des Bischofs von Hildesheim ein damals 14jähriges Mädchen ohne Wissen der Erziehungsberechtigten in einem Fall von vermutetem sexuellem Missbrauch angehört haben.

 In dem Gespräch am 4. März 2010 berichtete das Mädchen, in Begleitung ihrer Religions­lehrerin, dass es sich durch den pensionierten Pfarrer Peter R. bereits im Jahr 2006 körperlich bedrängt gefühlt habe. Zu diesem Zeitpunkt war sie erst 11 Jahre alt. Nach dem Gespräch wurden ihre Erziehungsberechtigten nicht informiert.

 Obwohl sie wussten, dass Peter R. für seine dutzendfachen Übergriffe in den 70er und 80er Jahren am Berliner Canisius-Kolleg nicht mehr belangt werden konnte und seitdem wiederholt sexuelle Übergriffe an Kindern und jungen Frauen begangen hatte, informierten der Bischof und seine Mitarbeiter bei diesem aktuellen Fall weder die Polizei noch schalteten sie eine unabhängige und fachlich versierte Beratungsstelle ein, um wenigstens das Mädchen zu unterstützen.

 Erst als nach einem gesundheitlichen Zusammenbruch des Mädchens im Herbst die Erziehungsberechtigten schließlich von den Taten erfuhren und daraufhin bei der Kirche auf eine Anzeige drängten, wurde mit fast zehnmonatiger Verspätung am 21. Dezember 2010 die Staatsanwaltschaft informiert. Dabei wurden die ermittelnden Behörden von der Kirche offenbar darüber im Unklaren gelassen, um wen es sich bei Peter R. handelt: nämlich eine der Hauptpersonen des bundesweiten Missbrauchsskandals vom Frühjahr 2010, der zudem nach ihren eigenen Erkenntnissen auch in ihrem Bistum bereits als Täter in Erscheinung getreten war.

 Nach Aussage der Berliner Staatsanwaltschaft wurde die Behörde vom Bistum Hildesheim nicht über die Zusammenhänge informiert. Die Staatsanwaltschaft stellte nach Prüfung schließlich im Frühjahr 2011 den Fall gegen Zahlung einer Geldauflage ein, weil sie kein übergeordnetes öffentliches Interesse erkennen konnte. Erst 2013 wurde Peter R. vom kirchlichen Gerichtshof in einem Geheimverfahren „wegen sexueller Handlungen an einer Minderjährigen“ dazu verurteilt, nicht mehr aktiv als Priester aufzutreten und 4000 Euro Strafe an die Kirche (!) zu zahlen. Das Mädchen aus Hildesheim erfuhr von dem Verfahren und dessen Ausgang nichts. Für den dutzendfachen Missbrauch von Jungen und Mädchen am Berliner Canisius-Kolleg ist Peter R. bis heute von der Kirche nicht belangt worden.