Gloria, Regensburg und die Domspatzen.

Von Matthias Katsch,
Sprecher ECKIGER TISCH, Betroffener Canisius-Kolleg, Mitglied im Betroffenenrat (Fachgremium beim Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung) und Ständiger Gast in der Aufarbeitungskommission,  zu den Äußerungen von Frau Gloria Fürstin von Thurn und Taxis. 21.07.2017,

http://www.br.de/nachrichten/oberpfalz/inhalt/gloria-von-thurn-und-taxis-missbrauch-regensburg-domspatzen-100.html

 

In dem Oskar gekrönten Spielfilm Spotlight von 2015 wird eine alte Volksweisheit abgewandelt: “if it takes a village to raise a child, it takes a village to abuse one” – “Wenn es ein Dorf braucht, um ein Kind aufzuziehen, dann braucht es auch das Dorf um eines zu missbrauchen.“

Dieser Satz, im Film gemünzt auf Boston, trifft auch auf Regensburg zu.

Die Witwe eines der reichsten Männer Deutschlands und einflussreichste Frau Regensburgs hat das gerade wieder unter Beweis gestellt: Nicht wahrhaben wollen, relativieren, verleugnen, die Opfer zu Tätern machen. So wird man als Gemeinschaft mitschuldig am Leiden von Kindern.

Die 57Jährige betont, in ihrer Jugend seien Schläge ein ganz normales pädagogisches Mittel gewesen, um „mit frechen Kindern, wie ich eines war, fertig zu werden.“ Gloria betonte auch, sie fände es unfair, heutige Maßstäbe auf frühere Dekaden anzuwenden. „Das geht nicht. Die Welt hat sich verändert.“

Das ist falsch. Die Zeiten mögen sich geändert haben. Aber auch schon vor vierzig Jahren war schwere Körperverletzung, Folter, Erniedrigung und sexuelle Gewalt gegen Kinder strafbar. Und es geht auch nicht darum, dass man mit besonders frechen Kinder „fertigwerden“ musste. Hier wird die Schuld an der Gewalttat dem Opfer zugeschoben, so wie man dem vergewaltigten Kind sagen würde, „ja hättest halt nicht so unschuldig geschaut“.

Im Abschlussbericht, der jetzt vorgelegt wurde, geht es nicht um gelegentliche Kopfnüsse oder Ohrfeigen, die noch bis 1980 in Bayern in der Kindererziehung erlaubt waren, sondern um systematische Gewalt gegen Kinder vergleichbar einem Straflager. Die Gewalt bei den Regensburger Domspatzen hatte System. Darum geht es.

Und gegen brutale Vergewaltigungen von Grundschülern helfen auch keine Ermahnungen der Eltern, vor alle wenn man im Internat lebt. Hier waren die Kinder den Tätern Tag und Nacht ausgeliefert, ohne Hoffnung auf Entkommen. Wie kann man über dieses Elend derart gefühllos hinweggehen?

Mit ihren Bemerkungen, mit denen sie wohl ihre Solidarität mit dem Ex-Bischof und Ex-Präfekten der Glaubenskongregation Kardinal Gerhard Ludwig Müller unter Beweis stellen wollte, – auch einer der nicht wahrhaben wollte – hat die Vorzeige-Katholikin sich als empathie- und verständnislos entlarvt.

Der Jesuitenpater Hans Zollner, der selbst aus Regensburg stammt und heute in Rom an der Päpstlichen Universität ein Kinderschutzprojekt für die Weltkirche betreibt, äußerte sich in diesen Tagen nach der Veröffentlichung des Berichts über die Täter. Dies seien Menschen gewesen, „die vor lauter Ehrgeiz, den Chor zu einer Weltinstitution im musikalischen Bereich zu machen, jedes Mittel eingesetzt haben; die eine sadistische Ader hatten“.

Zum Versagen des Umfelds in Regensburg gehört nach seinen Worten: „dass man über Jahre und Jahrzehnte nicht hingeschaut hat.“ Und weiter: „Ich erinnere mich selber, dass in meiner Kindheit zwei meiner Schulkameraden zu den Domspatzen – nicht in die Vorschulen, aber aufs Domgymnasium gegangen waren. Sie erzählten auch mir, dass sie geschlagen worden waren. Diese Dinge wussten wir. Aber heute ist unvorstellbar, dass damals niemand etwas getan hat, um das zu unterbinden. Dass nichts getan wurde, auch nicht von den Eltern, von denen einige davon hätten wissen können, und von der Direktion oder der Kirchenleitung.“

Viele müssen damals etwas mitbekommen haben. Vielen hätten es wissen können.

Wie sieht es heute mit den anderen Honoratioren und Vertretern von Stadt und Gesellschaft in Regensburg aus, die sich im Glanz des weltberühmten Chores gesonnt haben? Wo sind die Solidaritätsadressen für das Leid der Kinder in der Renommiereinrichtung der Stadt, wo sind die Entschuldigungen fürs Nicht-Wahrhaben wollen und Weggucken über viele Jahrzehnte?

Werden wenigstens jetzt die ehemaligen Opfer angemessen gewürdigt, die unter hohem Einsatz und gegen heftigste Widerstände seit mehr als sieben Jahren um die Aufklärung der systematischen Verbrechen an dieser Regensburger Institution gekämpft haben? Wird Ihnen der Verdienstmedaille der Stadt oder des Landes angeboten? Werden sie von den heutigen Eltern dafür gefeiert, dass sie mit ihrem unermüdlichen Einsatz die Kinder in den Einrichtungen in einem der berühmtesten Knabenchöre der Welt sicherer gemacht haben?

Und noch ein Satz zu dem hohen Kunstgenuss, der all das wert war: All die Tränen, das Blut, die Verzweiflung von Kindern über Generationen: Mir wird übel, wenn ich die „engelsgleichen“ Knabenstimmen höre. Denn ich muss zugleich daran denken, wie die Katholische Kirche bis Mitte des 19. Jahrhunderts um der Kunst willen – und um weiterhin Frauen ausschließen zu können – Knaben mit besonders schöner Stimme kastrieren ließ, um den hellen Klang auch nach der Pubertät zu bewahren. Vielleicht ist es an der Zeit, dass man sich auch in Regensburg von der Zeit der reinen Knabenanstalt verabschiedet.

Die Stadt und ihre Bürger, die Katholiken in Regensburg und darüber hinaus schulden den Opfern und ihren Vertretern nicht nur Hilfe und Genugtuung, sondern Dank und Anerkennung. Relativierende Schmähreden von adligen Damen haben sie nicht verdient