Offener Brief an den Jesuitenorden und die deutschen Bischöfe
Dieser Brief eines Geschädigten wurde Ende Februar 2010 an den Jesuitenorden und die deutschen Bischöfe versandt:
Geben Sie uns Genugtuung!
Bischof Zollitsch hat sich über das Fernsehen im Namen der deutschen Kirche bei mir entschuldigt. Vorher hat das bereits Provinzial Dartmann für die Jesuiten getan und Pater Mertes für meine alte Schule. Das tut gut, aber es ist nicht genug. Sie wollen Wunden heilen, aber Sie machen keine Aussagen dazu, wie Sie dazu beitragen wollen.
Dabei bin ich von den Entschuldigungen tatsächlich positiv überrascht. Denn wer sich ent-schuldigt, der bekennt, dass er Schuld auf sich geladen hat. Und dass die genannten Institutionen dazu fähig sind, ihre Schuld einzugestehen, das kommt für mich wirklich unerwartet. Bislang war doch öffentlich meist die Rede von bedauerlichen Einzeltätern, die es überall geben kann, in jedem Sportverein oder Kindergarten. Jetzt also Entschuldigung und Bitte um Vergebung.
Leider vermisse ich in den Erklärungen der „Täterorganisation“ (P. Mertes) bisher ein Wort: Verantwortung. Wer übernimmt die Verantwortung für das Vertuschen der Taten, die vor 30 Jahren mein Leben und das vieler anderer verletzt haben? Wer dafür, dass viele Opfer hätten vermieden werden können? Auch dazu kein Wort.
Ich erinnere außerdem an den Katechismus der katholischen Kirche: darin wird der Zusammenhang zwischen Schuld und Genugtuung beschrieben. Früher nannte man letzteres “Bußwerke“. Genugtuung beschreibt den Versuch die Sündenfolgen zu beseitigen. Ich erwarte also Genugtuung für das Versagen einer Institution, die mich nicht beschützt hat, als es darauf ankam – und die anschließend alles dafür getan hat, damit mir jede weltliche Gerechtigkeit versagt bleibt.
Aber ist es nicht die Verantwortung der einzelnen Täter? Was haben die Institution Orden und Kirche damit zu tun? Als 13-Jähriger glaubte ich, dass der Pater im Namen der Kirche spräche, der erklärte, mir helfen zu wollen, nicht der „Sünde der Masturbation“ anheim zu fallen.
Das war der Vertrauensvorschuss, der die Taten erst ermöglichte. Aber seine Mitbrüder, die zuvor mehrfach die Beschwerden von Eltern abgebügelt haben, die jahrelang nichts hören und nichts sehen wollten, die den Täter am Ende sogar in eine entlegene Pfarrei entsorgt haben, wo er wieder Jugendarbeit machen konnte, das sind keine Einzeltäter. Das waren Vertreter von Hierarchien und Organisationen, dies sind Strukturen und Institutionen. Und um deren Verantwortung geht es mir.
Papst Johannes Paul II. hat dafür sehr treffend den Begriff der „strukturellen Sünde“ in das kirchliche Sündenverständnis eingeführt, gemünzt allerdings auf die Schreckensregime Lateinamerikas und die Auswüchse eines Raubtierkapitalismus. Wer denkt da nicht sogleich an das Bild vom Balken und dem Splitter im Auge.
Der sadistische Prügelpater, den Sie in Ihren Reihen jahrzehntelang versteckt haben, und der auch mich zu fassen bekam, den haben Sie von einer Schule zur nächsten geschickt, schließlich sogar zu den Ärmsten der Armen nach Lateinamerika, wo er das Wort von einer Theologie der Befreiung gepredigt hat, während er hier Kinder quälte und missbrauchte.
Deshalb klage ich Sie an: Sie sind schuldig geworden durch Wegsehen, Vertuschen und Verschweigen an mir und vielen anderen. Obwohl Sie seit Jahrzehnten von der sexualisierten Gewalt wussten, die uns angetan worden war, haben Sie nicht einmal nachträglich versucht, etwas für die Opfer zu tun. Sie haben sich nur mit sich selbst befasst und für die Täter gesorgt, die Opfer aber vergessen.
Aus den aktuellen Beschlüssen der Bischofskonferenz entnehme ich, dass es auch heute noch Handlungsbedarf gibt, obwohl man 2002 die Leitlinien für den Umgang mit Kindesmissbrauch beschlossen hat. Das ist lobenswert. Ansonsten ist die Bereitschaft sich mit den Strukturen hinter den Taten auseinander zu setzen nicht sehr ausgeprägt. Doch das ist Ihre Angelegenheit, nicht mehr meine.
Denn für mich kommen diese Dinge zu spät. Seit mehr als 30 Jahren trage ich die Folgen Ihres Versagens als Institution mit mir herum, und auch wenn ich gelernt habe damit zu leben wie mit einer Behinderung, so werde ich sie doch nicht los. Wenn Sie Ihre strukturellen Sünden wirklich bereuen, dann zeigen Sie Ihre Reue und geben Sie Genugtuung.
Wiedergutmachung oder Entschädigung sind die falschen Begriff: was zerstört wurde in meinem Leben, lässt sich nicht wiedergutmachen oder entschädigen.
Aber Sie können mir und anderen Aufklärung verschaffen: Benennen Sie endlich Verantwortliche und öffnen Sie Ihre Archive externen Ermittlern!
Und Sie können mir und anderen helfen, die Folgen besser zu verschmerzen und einen neuen Anfang zu machen, wo soviel Leben verdunkelt und zerstört wurde: machen Sie uns endlich ein ernsthaftes Angebot für eine finanzielle Genugtuung.
Ich erwarte Ihr Versöhnungsangebot, geben Sie ein Zeichen, dass hinter Ihren Bitten um Verzeihung echte Einsicht und Umkehr stehen. Dann will ich auch über Vergebung reden.
M.Z.
mkz@gmx.eu