Niemand dachte an die Kinder
Vor etwa 30 Pressevertretern präsentierte heute das Team von Prof. Julia Zinsmeister nach achtmonatiger Untersuchung den Abschlussbericht „Schwere Grenzverletzungen zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen im Aloisiuskolleg Bonn-Bad Godesberg“.
Für den 233 Seiten starken Bericht wurden die Aus- sagen von 58 Personen ausge- wertet, die in einem Zeitraum von 60 Jahren die Grenzverletzungen von 23 Tätern (18 Jesuiten, 5 weltliche Mitarbeiter) erlebt oder wahrgenommen haben. Frau Zinsmeister machte darauf aufmerksam, dass damit keinesfalls alle Vorkommnisse erfasst seien. Es müsse davon ausgegangen werden, dass sich viele betroffene Altschüler nicht gemeldet hätten.
Laut Frau Zinsmeister habe es unter den Grenzverletzungen sowohl körperliche Misshandlungen als auch Akte sexualisierter Gewalt (bis hin zu schwerem Missbrauch) gegeben, die auch nach den jeweiligen damaligen Gesetzeslage eindeutig strafbar gewesen seien. Auch entwürdigende Erziehungsmaßnahmen und Psychoterror dokumentiert der heute vorgestellte Bericht. Frau Zinsmeister gab an, dass bei den meisten Tätern, die Ordensleitung von derem problematischen Charakter gewusst habe. Auch ließe sich in zwei Fällen von gezielter Vertuschung reden. Ansonsten aber habe sich Schul- wie Ordensleitung oft so wenig für das Wohl der Kinder und Jugendlichen interessiert, dass eher von einem Gar-nicht-erst-Hinsehen, als von einem systematischen Wegsehen gesprochen werden müsse. Der Ruf der Schule und die Leistungen der einzelnen Täter hätten stets den Vorrang gehabt.
Provinzial Stefan Kiechle äußerte seine Betroffenheit und entschuldigte sich abermals im Namen des Ordens bei den Opfern für das angetane Leid. Auch sehe er ein schweres Versäumnis in dem Unstand, dass für den Orden der Ruf immer im Vordergrund stand. Anschließend rechnete Pater Kiechle vor, dass in sechs Jahrzehnten 245 Jesuiten am Aloisius-Kolleg gearbeitet hätten. Fünf davon würden nun „wegen sexualisierter Gewalt“ beschuldigt. „Ist das viel, ist es wenig?“, fragte Kiechle. „Jeder einzelne Fall ist schrecklich, und jeder einzelne ist zu viel“, gab er selbst die Antwort. Zur Frage einer Genugtuungszahlung sagte Kiechle, dass die Opfer nach einer Prüfung durch den Orden 5.000 Euro als „mehr symbolisches Zeichen der Anerkennung“ bekommen sollen.
Bei einer anschließenden zweiten Pressekonferenz, die der nicht auf das Podium geladene „Eckige Tisch Aloisiuskolleg“ veranstaltete, äußerte Sprecher Jürgen Repschläger, dass 5.000 Euro weder eine wirkliche Anerkennung für die Betroffenen noch eine für die Jesuiten schmerzhafte Sühne seien. Man sei bereit, sich mit den Jesuiten an einen Tisch zu setzen und sich positiv überraschen zu lassen. Bisher sei der Dialog leider sehr einseitig verlaufen. Jüngste Beispiele: Sowohl die Summe von 5.000 Euro als auch die Pressekonferenz seien ohne Mitsprachemöglichkeit der Betroffenen entschieden und der Öffentlichkeit präsentiert worden.