Eine Frage der Ehre
Bei einer Veranstaltung in der Katholischen Akademie in Hamburg hat der „Zeit“-Journalist Patrik Schwarz der katholischen Kirche geraten, sich zur finanziellen Entschädigung von Opfern sexualisierter Gewalt als symbolische Wiedergutmachung zu entschließen. „Für die Kirche wäre es eine Frage der Ehre, es nicht auf Prozesse ankommen zu lassen, wie in den USA geschehen, sondern in Vorleistung zu treten“, sagte der stellvertretende Politik-Chef der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ .
„Das wäre ein Akt der Großzügigkeit, den viele Opfer honorieren würden.“ Nach seinen Recherchen gehe es den meisten Opfern nicht darum, „die Kirche zu melken oder abzuzocken“, sondern zunächst um eine moralische Anerkennung der Taten. An zweiter Stelle stehe die finanzielle Unterstützung für therapeutische Hilfen, die die Menschen häufig erst „sprechfähig“ gemacht hätten. Erst an dritter Stelle rangiere für die meisten eine Entschädigung.
So meldet es Radio Vatikan unter Berufung auf KNA. Interessant die Einschätzung zu den Beweggründen der „meisten“ Opfer. Kennt er also einige, die die Kirche „abzocken“ wollen? Betroffene fordern bisher öffentlich Aufklärung, Hilfe und eine finanzielle Genugtuung. In dieser Reihenfolge. Während über die ersten beiden Punkte gesprächsweise leicht Einigkeit herzustellen ist, polarisiert die Frage nach Zahlungen an die Opfer. Leider sind die ersten beiden Punkte bisher auch noch nicht befriedigend gelöst. Und letzterer ist auf die lange Bank beim „Runden Tisch“ geschoben.
Eine direkte Aufrechnung „Geld gegen Leben“ kann es natürlich nicht geben. Wiedergutmachen lässt sich nichts bei der Frage nach dem Glück im Leben, nach Beschädigungen des Gemüts und der Beziehungen zu anderen Menschen. Welche gute Gründe gibt es dennoch eine finanzielle Genugtuung zu fordern? Eine Auswahl:
- Es geht nicht um Wiedergutmachung, es geht es um Genugtuung. Unter normalen Umständen erhält ein Opfer die Genugtuung durch Prozess und Verurteilung des Täters. Dank der Vertuschung seitens des Ordens und der Kirche kann es dazu nicht mehr kommen. Dies soll eine Zahlung ausgleichen. Deshalb kann man die Höhe der Genugtuung auch nicht einfach mit den Schmerzensgeldzahlungen an aktuelle Opfer vergleichen.
- In einer Zahlung soll sich das Unrechtsbewusstsein der „Täterorganisation“ darüber ausdrücken, dass sie die Betroffenen vor dem Missbrauch nicht bewahrt hat, obwohl sie Kenntnis über die Täter hatte. Stattdessen wurden die Täter geschützt.
- Diese Genugtuung muss um zu wirken auch schmerzen. Dies muss sich in der Höhe widerspiegeln, sie darf nicht einfach aus der „Portokasse“ bezahlt werden können. Letztlich spiegelt sich in einer angemessenen Zahlung auch die Ernsthaftigkeit bei der Bitte um Vergebung wieder.Völlig abwegig wäre es somit, die Zahlung auf die Allgemeinheit abzuwälzen.
- Die Opfer sind nicht Schuld daran, dass es erst so spät zu einer Aufklärung kam. „Einzelfallprüfungen“ durch die Vertreter von Kirche oder Orden sind ihnen heute nicht mehr zumutbar. Also kann es im Grunde auch nur um ein Angebot für einen einheitlichen Betrag für jeden Betroffenen gehen, der sich jetzt zu Wort meldet.