ECKIGER TISCH fordert Gerechtigkeits- und Wahrheitskommission

Seit der Veröffentlichung der Reportage „Meine Täter, die Priester“ von Eva Müller in der ARD und im Internet haben wir eine große Zahl von positiven Reaktionen auf den Beitrag und auf die Recherche unseres Sprechers Matthias Katsch erhalten. Dafür sind wir und insbesondere Herr Katsch zutiefst dankbar.

Bei der Reise nach Chile ging es jedoch nicht um seine persönliche Aufarbeitung. Nicht nur die durch den deutschen Priester Peter R. missbrauchten chilenischen Frauen warten seit Jahren darauf, dass man ihre Fälle aufarbeitet, und ihnen Hilfe und angemessene Entschädigung zukommen lässt. Auch in Deutschland gibt es viele Tausend Betroffene, die in den vergangenen Jahrzehnten sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester ausge­setzt waren und seit Jahren vergeblich darauf hoffen, dass in ihren Fällen konkret ermittelt wird.

Betroffene haben ein Recht darauf, zu erfahren,

  • unter welchen konkreten Umstän­den sie als Kinder oder Jugendliche zu Opfern von Miss­brauchstätern wurden,
  • ob es möglicherweise in ihrem Umfeld noch andere Betroffene gab, die dasselbe Schicksal erleiden mussten,
  • wer die Verantwortung dafür trägt, dass die Taten über Jahre hinweg vertuscht, die Täter geschützt und den Opfer keine Hilfe angeboten wurde,
  • wo sich die Täter heute befinden und ob möglicherweise noch heute eine Gefahr von ihnen ausgeht.

Auch die Angehörigen (hier insbesondere die Eltern) der Betroffenen haben − ebenso wie das Umfeld, in dem die Taten geschahen (Pfarrei, Schule etc.) − ein Recht darauf zu erfahren, wie es möglich war, dass so viele Kinder und Jugendliche in den Strukturen der katholischen Kirche Opfer von sexuellem Missbrauch wurden.

Die Beantwortung dieser und anderer Fragen sowie die Erfahrung von Gerechtigkeit und ernsthaftem Aufklärungswillen sind grundlegende Voraussetzungen für die individuelle Bewäl­tigung der traumatisierenden Missbrauchserfahrungen. Viele Betroffene haben lebens­lange und teilweise irreparable Schäden erlitten.

Individuelle Aufarbeitung bildet auch die Grundlage für eine gesellschaftliche Auseinan­dersetzung und ermöglicht so wirksame Prävention. Aufarbeitung kann nicht durch eine quantitative wissenschaftliche Untersuchung ersetzt werden, bei der − wie im Falle der kürzlich veröffentlichten MHG-Studie − Zahlengerüste ermittelt werden. Darüber hinaus hat sexuelle Gewalt in Einrichtungen der katholischen Kirche nach unserer Überzeugung eine völlig andere Dimension, als die kürzlich veröffentlichten Zahlen annehmen lassen.

Aufarbeitung muss konkret sein. Die katholische Kirche selbst kann das nicht leisten, wie einige ihrer Vertreter inzwischen selbst einräumen. Deshalb ist jetzt der Staat gefordert. Es braucht eine unabhängige Untersuchung durch eine Kommission von Ermittler*innen, die Betroffene sowie Zeitzeug*innen anhört und Akten auswertet. Die Kirche muss den Zugang zu ihren Unter­lagen gewähren. Dafür gibt es Vorbilder (Irland, Australien, Pennsylvania).

Es geht auch um Gerechtigkeit. Die Opfer von einst haben heute ein Recht auf Aufklärung, auf Hilfe und auf Entschädigung.

Es braucht jetzt eine Gerechtigkeits- und Wahrheitskommission.