Das Wort Entschädigung ist ohnehin falsch!

Es ist eigentlich alles so klar… für Nichtbetroffene so nachvollziehbar… katholisch geboren, katholisch erzogen, liebe Arbeitereltern, sonntags in die Kirche, kleiner Messdiener mit panischer Angst vor dem Steyler-Pater… Er schlug uns, bis das Confiteor exakt saß… dann ein Wunder: der dünne Junge wurde durch die Vermittlung der Kirchengemeinde ins berühmte Internat an die holländische Grenze geschickt… Pfarrer sollte er werden? Nein, mindestens Bischof…

Heimweh vom ersten Tag an… ein Diakon erhielt die Erlaubnis, mich auf „Dienstfahrten“ mitzunehmen. Das sollte mein Heimweh lindern… Mißbrauch vorne, in einem VW-Käfer… Fast ein Dutzend „Ausflüge“… Der Diakon war verklemmt, hatte wenig Fantasie… Ein Gespräch mit dem herzensguten Präses brachte keine Hilfe… War selber Schuld, traute mich nicht die einfachen, schmutzigen Dinge zu erzählen… Wollte nicht mehr mitfahren im Auto, wollte nur noch nach Hause…

Schande über die Familie, ein Gescheiterter, ein Abbrecher, wie peinlich… Doch oh Wunder, wurde Obermessdiener und konnte nicht mehr mit anderen Menschen in einem Zimmer schlafen. Angst vor jedem, noch so harmlosen Kontakt, körperlich, wie seelisch… Es begann ein einsames, zurückgezogenes Leben… Es war nicht mein eigenes Leben… Ich lebte in einer Blase und sah durch eine glasige Schicht die wirkliche Welt draussen…

Nach vielen Jahrzehnten dann die Möglichkeit, sich zu melden, wurde befragt, sagte nur Bruchstücke meiner erniedrigenden Erlebnisse… Das war wohl dumm von mir… bekam eine kleine „Entschädigung“. Andere waren da mutiger, bekamen daher eine etwas höhere „Entschädigung“… Hatten wohl mehr „erlebt/erlitten“. Fühlte mich nicht besser, ärgerte mich, dass ich mich überhaupt gemeldet hatte…

Das Wort Entschädigung ist ohnehin falsch! Ein Schaden kann nicht ungeschehen gemacht werden! Ich habe nicht mein Leben leben können! Ich habe die Erlebnisse überstanden und habe einen hohen Preis dafür bezahlt. Ich grübele nicht mehr darüber nach, was denn gewesen wäre, wenn es diesen Diakon nicht gegeben hätte… Mir fehlt die Möglichkeit eine Nähe zu Mitmenschen zu ertragen. Das ist sehr schmerzhaft. Aber ich lebe und schaue fassungslos auf die Entwicklung der Gesellschaft…