Als der neu Gewählte bescheiden lächelnd den Balkon betrat, die Menge mit einem einfachen „Guten Abend“ begrüßte und sich vor dem Segen zunächst selbst vor der Menge verneigte, da war ich beeindruckt und berührt. Wie viele hatte ich die Hoffnung, dass dieser ungewöhnliche Papst den dringend notwendigen Wandel in seiner Kirche einleiten würde.

Tatsächlich hat er die Türen, die von seinen Vorgängern zugehalten wurden, freigegeben und einen Spalt weit geöffnet. Fragen, die lange nicht einmal gestellt werden konnten, lagen plötzlich auf dem Tisch. Bei aller Betonung der Kontinuität mit seinem Vorgänger, welcher sich entschlossen hatte, seinen Ruhestand ausgerechnet im Garten des Vatikan und damit quasi im Rücken seines Nachfolgers zu verbringen: Aufbruch lag in der Luft.

Wenige Monate später begegneten sich im Sommer 2013 zum ersten Mal Betroffene sexuellen Missbrauchs durch Kleriker der katholischen Kirche aus verschiedenen Teilen der Welt zu einer Konferenz in Dublin. Nach den USA war Irland zu einem Epizentrum eben dieser Krise geworden, die drei Jahre zuvor in Mitteleuropa öffentlich wurde. Die versammelten Betroffenen hatten die Hoffnung, dass mit dem neuen Papst etwas in Bewegung geraten war. Zugleich war uns klar, dass ohne den konstanten Druck von Betroffenen nichts vorangehen würde.

Den andauernden weltweiten Skandal hatte Franziskus von seinen Vorgängern geerbt. Der Umgang mit den zahllosen Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Priester, überschattete sein Pontifikat. Aus dem Skandal wurde im Laufe der Jahre eine Systemkrise, die zu lösen Franziskus nicht in der Lage war.  Der Papst war oft stark in der Diagnose von Problemen und hatte ein Gespür Zeichen zu setzen – in der Umsetzung blieben seine Vorstellungen von Veränderung schwach und gingen oft nicht über Symbolismus hinaus.

Schon früh berief Franziskus eine Expertenkommission, die ihn zu dem Thema Kinderschutz beraten sollte. In der päpstlichen Kinderschutzkommission wirkten, auch das eine Neuerung, auch zwei Betroffene aus Irland und England mit. Zugleich beließ Franziskus die Verantwortung für den Umgang mit priesterlichen Missbrauchstätern ebenso wie mit Opfern, die sich an den Vatikan wandten, bei der Glaubenskongregation. Deren Präfekt, der deutsche Kardinal Gerhard Müller – von Papst Benedikt noch kurz vor seinem Rücktritt ernannt – schien immer wieder gegen die Ideen von Franziskus zu arbeiten. Frustriert von der Blockadehaltung der Kurie verließen die beiden Betroffenen schon bald wieder das Gremium.

Seit den 80er Jahren war es dem Vatikan gelungen, die Missbrauchsskandale in einzelnen Ländern wie den USA, Irland oder auch Deutschland weitgehend auf nationaler Ebene abzuhandeln. Spätestens im August 2018 war die Krise im Zentrum der katholischen Weltkirche angekommen. Auslöser war ein typisches Verhalten von Franzikus während seiner Lateinamerika-Reise, die ihn unter anderem Chile führte. Franziskus hatte sich geweigert, sich von einem Bischof zu distanzieren, dem Vertuschung und Mitwisserschaft über die Taten eines klerikalen Serientäters vorgeworfen wurden. Genervt von den ständigen Nachfragen der mitgereisten internationalen Journalisten, erklärte er, man solle ihm Belege zeigen für die Vorwürfe. Dort in Santiago de Chile hatten sich dutzende Betroffene aus Nordamerika und Europa versammelt, um die chilenischen Betroffenen den Rücken zu stärken. Auch wegen der Pressearbeit der Betroffenen, waren die Journalisten gut gebrieft und konnten die Fragen immer wieder beim Papst plazieren.

Dies hatte gewirkt: Zurückgekehrt nach Rom musste sich Franziskus zwei Wochen später entschuldigen, als ihm die Presse nachweisen konnte, dass sein Büro sehr wohl von den Betroffenen brieflich über die Vorwürfe gegen chilenische Bischöfe unterrichtet worden war. Persönlich setze Franziskus daraufhin ein bis dahin ungesehene Zeichen. Er lud die drei kurz zuvor noch kritisierten Wortführer der Betroffenen in Chile zu sich in den Vatikan ein, um eine Woche bei ihm im Gästehaus St. Martha zu wohnen.

In einem Brief an die chilenischen Bischöfe beklagte er eine „Kultur des Missbrauchs und ein System der Vertuschung“. Die Bischöfe des lateinamerikanischen Landes erklärten kollektiv ihren Rücktritt.

Kurz darauf wandte sich der Papst  in einem Brief an „das ganze Volk Gottes“, also alle Katholiken weltweit und stellte fest: „Mit Scham und Reue erkennen wir als kirchliche Gemeinschaft an, dass wir nicht da waren, wo wir hätten sein sollen, dass wir nicht rechtzeitig gehandelt haben, als wir das Ausmaß und die Schwere des Schadens erkannten, der so vielen Leben zugefügt wurde“, schrieb Franziskus. „Wir haben uns nicht um die Kleinen gekümmert, wir haben sie im Stich gelassen.“ 

In höchster Not, durch die nicht abreißenden Meldungen aus aller Welt, lud er für Anfang 2019 erstmals die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen zu einem Treffen nach Rom ein, um über sexuellen Kindesmissbrauch zu sprechen. Dieser Krisengipfel markierte zugleich aber auch die Grenze seines Willens zur Aufklärung und seiner Bereitschaft zu wirklicher Veränderung.

Die auch von Experten außerhalb der Kirche immer wieder beschriebenen Ursachen für die sexuelle Gewalt durch Priester wurden von einzelnen Bischöfen benannt: Der Klerikalismus, die überkommende Sexualmoral, die Bigotterie im Umgang mit Homosexualität, die mangelnde Präsenz von Frauen und generell die Ohnmacht der Laien. Doch an tiefgreifende Lösungsvorschläge wagte man sich nicht.

Auch Betroffene aus 30 Ländern, die nach dem Erfolg in Chile, eine gemeinsame Plattform unter dem Namen „Ending Clergy Abuse“ gegründet hatten, kamen uneingeladen nach Rom. Von den Beratungen blieben sie ausgesperrt. Ihre Forderung nach einer echten Null-Toleranz-Politik im Umgang mit Missbrauchstätern und deren bischöflichen Beschützern durften eine Delegation der Betroffenen im Vatikan vortragen. Zu einer Begegnung mit dem Papst kam es nicht.

Stattdessen hielt Franziskus zum Abschluss des außerordentlichen Treffens eine Rede, in der er darauf hinwies, dass sexueller Kindesmissbrauch ein weltweites Problem aller Gesellschaften sei. Statt notwendige Veränderungen anzukündigen, machte er einen Letztverantwortlichen für das Leid der Opfer aus: den Teufel.

Immer wieder gebrauchte er in seinen Reden und Interviews das problematische Argument, dass man früheres Verhalten von Bischöfen im Umgang mit Missbrauch nicht mit heutigen Maßstäben messen könne. Es klang, als ob er sich mit dieser Relativierung auch selbst exkulpieren wollte. Jedenfalls gab es immer wieder Vorwürfe von Betroffenen über sein Verhalten im Umgang mit Missbrauchstätern in seiner Zeit als Bischof in Argentinien. Seinem wichtigsten theologischen Mitarbeiter und „Ghostwriter“, Victor Fernandez, den er erst zum Erzbischof in Argentinien machte und dann als Präfekten der Glaubenskongregation nach Rom holte, wurden für sein Verhalten heftig kritisiert. Franziskus setzte sich darüber hinweg, ebenso wie über die Bedenken, die Fernandez selbst geäußert hatte, dem sein Versagen offenbar bewusst geworden war.

Mit dem Gesetz „Vos estis lux mundi“ schuf Franziskus erstmal eine Vorschrift, nach der Bischöfe für ihren Umgang mit sexuellen Missbrauchsvorwürfen zur Verantwortung gezogen werden können – eine wichtige Forderung von Betroffenen: Null Toleranz soll nicht nur für Priester gelten, die ein Kind missbraucht haben, sondern auch für den Bischof, der das vertuscht hat. Zugleich bleibt die Anwendung dieses persönlichen Gesetzes bis heute undurchsichtig. Unklar ist sogar, ob das Gesetz überhaupt schon mal zur Anwendung gekommen ist.  Die Praxis der „angebotenen Rücktritte“ belässt es im Unklaren, wann und nach welchen Regeln ein Bischof bestraft wird. Mehrfach schaltete sich Franziskus auch persönlich in laufende Verfahren ein. So bleiben Willkür und Intransparenz kennzeichnend für den Umgang der Kirche mit Täter, ihren bischöflichen Beschützern und den Opfern.

Franziskus weigerte sich in den folgenden Jahren immer wieder, den systemischen Charakter der sexuellen Gewalt an Kindern, Jugendlichen und vulnerablen Personen anzuerkennen. Statt auf Änderungen von Verfahren und Prozessen zu setzen, betonte er die Bedeutung von persönlicher Haltung. Dass die Gewalt aus dem System der katholischen Kirche heraus erwächst, aus den problematischen Strukturen und Lehren, wollte oder konnte er nicht sehen.

2022 veröffentlichte die Universität Münster einen Forschungsbericht, der ein extremes Ausmaß des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und Ordensangehörige in den Jahren 1945 bis 2020 bezeugt. Ein Jahr zuvor – im Sommer 2021 – wurde der große Missbrauchsfall von Kinderhaus vor Gericht verhandelt, der ein erschreckendes Bild skrupelloser Täterschaft und familiärer Mitwisserschaft offenbarte. Missbrauchsopfer beklagen, dass auch Monate nach Veröffentlichung der beiden Fälle kaum politische und juristische Konsequenzen gezogen wurden.

https://www.theater-muenster.com/produktionen/kinderhaeuser-467.html

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf sichere und gewaltfreie Räume. Warum versagen genau diese Schutzräume in Kirchen, Heimen, Freizeiteinrichtungen und Familien immer wieder und deutschlandweit? Wie müssen, sollen und können Kirche und Zivilgesellschaft reagieren? Warum schweigen und schauen wir als Gesellschaft oft kollektiv weg, wenn Schutzbedürftige Leid erfahren?

Mit einem großformatigen Recherche-Theaterprojekt beleuchtet die Autorin und Regisseurin Karen Breece die konkret persönliche Seite des Themas Missbrauch hinter den abstrakten Fakten und macht sich auf die Suche nach Opfern und Täter*innen – und dem Ende der Gewalt. 

Im Anschluss an jede Vorstellung findet ein Publikumsgespräch mit den Beteiligten der Produktion statt. Der Vorsitzende von Eckiger Tisch, Martin Schmitz aus Rhede, wirkt an der Aufführung prominent mit. Melanie Hach, die bei der Aufarbeitung des katholischen Missbrauchsskandals mitwirkt, bringt sich mit ihrer Geschichte ebenso ein.

Die weiteren Aufführungstermine sind auf der Webseite des Theaters ersichtlich. Der nächste Termin ist am 20. April 2024.

Nur wer den Mut hat zu träumen, hat auch die Kraft zu kämpfen.

Wir trauern um

Antonius Kock

Antonius träumte von Gerechtigkeit für die Opfer sexueller Gewalt durch jene Kleriker, die in perfider Weise Glauben und Vertrauen von Kindern missbraucht hatten. Er wusste aus eigener Erfahrung davon, wie dieser Missbrauch ein Leben beeinträchtigen kann.

Mit Kraft und Energie hat sich Antonius unermüdlich für Betroffene eingesetzt. Er hatte entscheidenden Anteil am Aufbau von Selbsthilfegruppen. Kein Weg war ihm zu weit, um zu beraten und zu unterstützen.

Er hat sich für die Vernetzung engagiert, vor Ort und bundesweit, und sich für die politische Interessenvertretung öffentlich eingesetzt. Er war bereit, auch unbequem sein, um so Veränderungen zu erreichen,

Antonius war ein Freund und Kamerad mit einer zutiefst positiven Ausstrahlung, auf den sich seine Mitstreiter:innen jeder Zeit verlassen konnten. Er hat dort Verantwortung übernommen, wo er stand, ein bescheidener Mensch, der nie Aufhebens von sich selbst gemacht hat.

Wir vermissen ihn.
Wir werden ihn mit Hochachtung in Erinnerung behalten. Und in seinem Sinne daran arbeiten, dass sein Traum Wirklichkeit wird.

Selbsthilfegruppen Münster / Rhede /Beckum
Aktionsbündnis der Betroffenengruppen
Eckiger Tisch e.V.

Die heute bekanntgewordenen Vorwürfe gegen den vormaligen Bischof von Essen und Kardinal Franz Hengsbach und der Umgang damit in den Bistümern Paderborn und Essen sind entlarvend für die Selbstaufklärungsbemühungen der katholischen Kirche in Deutschland seit 2010.

Wer immer noch nicht verstanden hat, weshalb es keine gute Idee ist, die Organisation, die über Jahrzehnte Missbrauchsverbrechen ihrer Kleriker vertuscht hat, mit der Aufklärung dieser Fälle allein zu lassen, der hat hier ein weiteres gutes Anschauungsbeispiel.

Es gibt viele Fragen, die jetzt zu klären sind: Gab es tatsächlich vor 2011 keine Hinweise auf das Verhalten von Kardinal Hengsbach? Weshalb wurden die Vorwürfe, die in den Bistümern Paderborn und Essen vorlagen, nicht zusammengeführt? Wer hat die Voruntersuchung in Deutschland geführt? Wer hat in Rom für eine Einstellung der Ermittlungen gesorgt? War es etwa der ehemalige deutsche Papst und vormalige Chef der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger? Alle diese Fragen und weitere Aspekte, die im Rahmen einer Untersuchung auftauchen mögen, sollten möglichst rasch durch eine unabhängige Untersuchungskommission geklärt werden.

Um so länger dieser Missbrauchsskandal schwelt, um so deutlicher und eindringlicher stellt sich die Frage nach der Mitverantwortung von Justiz und Politik. Es muss endlich Schluss sein damit, dass die Kirche oder von ihr beauftragte Gremien die Missbrauchsverbrechen und den Umgang mit diesen Fällen selbst aufzuklären versucht. Wenn wie im vorliegenden Fall Staatsanwaltschaften aufgrund von Verjährung nicht mehr tätig werden können, dann braucht es endlich eine unabhängige Untersuchungs- und Aufklärungsinstanz.

Nachdem der Bundestag es bis heute nicht über sich bringt, eine Untersuchungskommission mit der rückhaltlosen Aufklärung des katholischen Missbrauchsskandal zu beauftragen, geht unser Appell an die Landtage wie in diesem Fall in Düsseldorf: Es ist hohe Zeit für eine Wahrheitskommission bevor nicht nur die Täter, sondern auch die Opfer nicht mehr leben!

Öffnet die Akten! Null Toleranz!
Demonstration am 30. September in Rom

Die Forderung nach Zugang zu den Akten und unabhängige Untersuchungskommissionen auch für die Bestände in der Zentrale der Weltkirche sowie der dort ansässigen Ordensgemeinschaften werden wir Ende der kommenden Woche auch konkret vor den Türen des Vatikans vorbringen. Anlässlich der bevorstehenden Eröffnung der katholischen Weltbischofssynode in Rom werden Betroffene sexuellen Kindesmissbrauchs durch Kleriker der katholischen Kirche aus aller Welt am 30. September in Rom demonstrieren.

Eckiger Tisch und das Aktionsbündnis von Betroffeneninitiativen wird dazu mit Betroffenen aus über 20 Ländern, die sich in der Initiative Ending Clergy Abuse (ECA, ecaglobal.org) organisiert haben, vor den Vatikan ziehen. Mit der inzwischen weltweit bekannten Figur des „Bischofs in der Hängematte“ werden wir auf die mangelnde unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch durch Kleriker hinweisen: in Deutschland und vielen Ländern rund um die Welt.

Wie schon 2019 wird ECA dabei auf die dringend notwendige Verankerung des Grundsatzes von Null-Toleranz im Kirchenrecht hinweisen.

Weitere Informationen zu den geplanten Aktionen im Vorfeld der Weltsynode werden wir in den kommenden Tagen veröffentlichen.

Pressemitteilung vom 19. September 2023

Von Matthias Katsch

Erst der Chef des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, der als Missbrauchstäter und -vertuscher entlarvt wurde, dann der Chef des Kindermissionswerks der Stern­singer, jetzt die verstörenden Bilder über den Gründer eines Afrika-Hilfs­vereins und Ehrendomherrn: Was Bischof Emil Stehle, Prälat Winfried Pilz und Ehrendomherr Edmund Dillinger gemeinsam haben, außer dass es sich um katho­lische Priester handelte? Sie führten ein skrupelloses Doppelleben und haben vielen Menschen sexuelle Gewalt angetan, was erst nach ihrem Tod für die Öffentlichkeit offenbar wurde. Sie waren an herausgehobener Stelle tätig und genossen eine gewisse Promi­nenz. Und dann ist da ihr auffälliges Engagement für die sog. Dritte Welt, den globalen zumeist armen Süden.

Letztes Jahr wurde durch eine Aktenuntersuchung bei der Vermittlungsstelle der Bischofskonferenz bekannt, dass über Jahrzehnte Priester, die in Deutschland sexuelle Übergriffe an Kindern und Jugendlichen begangen hatten, heimlich nach Südamerika verschoben worden waren, direkt unter den Augen der Justiz und manchmal hinter ihrem Rücken. Sogar Identitäten wurden dazu gefälscht.

Es zeichnet sich ein Muster ab. Das Engagement für die Entwicklungszusammen­arbeit der Kirchen muss dringend daraufhin überprüft werden, inwieweit hier Gelegenheitsstrukturen für Täter entstanden sind oder gar geschaffen wurden. Wurden möglicherweise auch in anderen Institutionen Täter „in der Mission“ in Sicherheit versteckt? Gerade auch im Interesse der vielen guten und notwendigen Initiativen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Elend und Leid zu lindern.

Die Vorstellung, dass mit Spendengeldern von Gläubigen und gefördert mit vielen Millionen vom Staat, Missbrauchstätern Zugriffsmöglichkeiten auf besonders vulnerable Kinder und Jugendliche in Armutskontexten geschaffen wurden, macht zornig – entbehrt aber auch nicht einer perfiden Logik.

Und es ist wieder dem Zufall und dem Engagement einzelner Personen zu verdan­ken, dass grausame Taten entdeckt und öffentlich gemacht werden, während die Amtskirche selbst schon lange von den Verbrechen wusste. Hofft diese Kirche immer noch, dass sie sich durchmogeln kann, dass es vielleicht am Ende keiner merkt, dass die Taten in Vergessenheit geraten, weil es der Staat nicht wirklich wissen will und die Aufklärung weiterhin der Kirche selbst überlässt?

Der Fall des Priesters Edmund Dillinger wirft viele Fragen auf zum Umgang der Bischöfe mit Tätern in den eigenen Reihen. Als Begründung dafür, dass man sie nicht aus dem Priesterstand entfernt, wird von Kirchenvertretern ja gerne ange­bracht, dass man besser auf sie aufpassen kann, wenn man sie bei sich behält. Im Ernst?

Wenn aber gerade ihr Priestersein sie überhaupt erst zu Tätern hat werden lassen? Wird damit nicht die Risikosituation verlängert oder verlagert? Sollen Täter am Re­den gehindert werden, indem man sie ruhigstellt: Wir zahlen weiter deine Pen­sion und Du hältst die Klappe darüber, wer Dich geschützt hat, wer Dir geholfen hat. Aufklärung und Aufarbeitung steht auch hier noch am Anfang.

Schließlich der Umgang mit den Hinterlassenschaften der Täter: Hunderte von Bildern und Filmen auf denen sie ihre Verbrechen dokumentiert haben. Was soll damit geschehen? Der Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und Darstel­lungen davon wird ja immer noch nicht ausreichend gesehen. Teile des Materials vorzuzeigen, um die Dramatik des Fundes zu dokumentieren – wie es die Journalis­ten in Koblenz dieser Tage getan haben − war von daher notwendig.

Auf jeden Fall muss aber verhindert werden, dass dieses Material in den Kreislauf der globalen digitalen Missbrauchsdarstellungsindustrie eingespeist wird. Denn dort zirkulieren schon unzählige Abbildungen von sexueller Gewalt, von Kindesmiss­brauch und beschämt die Opfer dieser Verbrechen.

Also einfach vernichten, wie es jetzt von Seiten der Kirche heißt? Nicht so schnell: Dazu könnte das Material noch zu viele Geheimnisse bergen. Stattdessen sollte die Staatsanwaltschaft das Material unter Verschluss nehmen, auswerten lassen und für Ermittlungen verwenden. Sollte tatsächlich alles zu lange her sein, so ist das Material sicher für die wissenschaftliche Bearbeitung von Bedeutung.

Vor allem aber: Für potenziell Betroffene in den Ländern des globalen Südens müssen Anhörungsstrukturen geschaffen werden. Wir wissen, wo die Täter im Einsatz waren, wo sie sich mutmaßlich ausgetobt haben, als ihnen der Boden in Deutschland zu heiß wurde. In Zeiten des Internets ist es kein Hexenwerk Meldemöglichkeiten für potentielle Betroffene zu schaffen. Keinesfalls darf diese im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz angelegt sein.

Diejenigen, die mit Millionenförderung durch den Staat Hilfswerke aufgebaut ha­ben, haben jetzt eine Verantwortung, den Opfern Gehör zu schenken, Betroffene aus dem Schweigen zu holen und das heißt proaktiv über die jetzt aufgedeckten Verbrechen zu kommunizieren. Auch wenn sie das zunächst ihren guten Ruf kostet. Sonst verlieren sie jede Glaubwürdigkeit. So wie die katholische Kirche in Deutsch­land und ihre Bischöfe. „Schock und Scham“ wie auch jetzt wieder reflexartig geäußert, reichen jedenfalls nicht aus.

PDF-Download

Welcome to WordPress. This is your first post. Edit or delete it, then start writing!