2022 veröffentlichte die Universität Münster einen Forschungsbericht, der ein extremes Ausmaß des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und Ordensangehörige in den Jahren 1945 bis 2020 bezeugt. Ein Jahr zuvor – im Sommer 2021 – wurde der große Missbrauchsfall von Kinderhaus vor Gericht verhandelt, der ein erschreckendes Bild skrupelloser Täterschaft und familiärer Mitwisserschaft offenbarte. Missbrauchsopfer beklagen, dass auch Monate nach Veröffentlichung der beiden Fälle kaum politische und juristische Konsequenzen gezogen wurden.

https://www.theater-muenster.com/produktionen/kinderhaeuser-467.html

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf sichere und gewaltfreie Räume. Warum versagen genau diese Schutzräume in Kirchen, Heimen, Freizeiteinrichtungen und Familien immer wieder und deutschlandweit? Wie müssen, sollen und können Kirche und Zivilgesellschaft reagieren? Warum schweigen und schauen wir als Gesellschaft oft kollektiv weg, wenn Schutzbedürftige Leid erfahren?

Mit einem großformatigen Recherche-Theaterprojekt beleuchtet die Autorin und Regisseurin Karen Breece die konkret persönliche Seite des Themas Missbrauch hinter den abstrakten Fakten und macht sich auf die Suche nach Opfern und Täter*innen – und dem Ende der Gewalt. 

Im Anschluss an jede Vorstellung findet ein Publikumsgespräch mit den Beteiligten der Produktion statt. Der Vorsitzende von Eckiger Tisch, Martin Schmitz aus Rhede, wirkt an der Aufführung prominent mit. Melanie Hach, die bei der Aufarbeitung des katholischen Missbrauchsskandals mitwirkt, bringt sich mit ihrer Geschichte ebenso ein.

Die weiteren Aufführungstermine sind auf der Webseite des Theaters ersichtlich. Der nächste Termin ist am 20. April 2024.

Nur wer den Mut hat zu träumen, hat auch die Kraft zu kämpfen.

Wir trauern um

Antonius Kock

Antonius träumte von Gerechtigkeit für die Opfer sexueller Gewalt durch jene Kleriker, die in perfider Weise Glauben und Vertrauen von Kindern missbraucht hatten. Er wusste aus eigener Erfahrung davon, wie dieser Missbrauch ein Leben beeinträchtigen kann.

Mit Kraft und Energie hat sich Antonius unermüdlich für Betroffene eingesetzt. Er hatte entscheidenden Anteil am Aufbau von Selbsthilfegruppen. Kein Weg war ihm zu weit, um zu beraten und zu unterstützen.

Er hat sich für die Vernetzung engagiert, vor Ort und bundesweit, und sich für die politische Interessenvertretung öffentlich eingesetzt. Er war bereit, auch unbequem sein, um so Veränderungen zu erreichen,

Antonius war ein Freund und Kamerad mit einer zutiefst positiven Ausstrahlung, auf den sich seine Mitstreiter:innen jeder Zeit verlassen konnten. Er hat dort Verantwortung übernommen, wo er stand, ein bescheidener Mensch, der nie Aufhebens von sich selbst gemacht hat.

Wir vermissen ihn.
Wir werden ihn mit Hochachtung in Erinnerung behalten. Und in seinem Sinne daran arbeiten, dass sein Traum Wirklichkeit wird.

Selbsthilfegruppen Münster / Rhede /Beckum
Aktionsbündnis der Betroffenengruppen
Eckiger Tisch e.V.

Die heute bekanntgewordenen Vorwürfe gegen den vormaligen Bischof von Essen und Kardinal Franz Hengsbach und der Umgang damit in den Bistümern Paderborn und Essen sind entlarvend für die Selbstaufklärungsbemühungen der katholischen Kirche in Deutschland seit 2010.

Wer immer noch nicht verstanden hat, weshalb es keine gute Idee ist, die Organisation, die über Jahrzehnte Missbrauchsverbrechen ihrer Kleriker vertuscht hat, mit der Aufklärung dieser Fälle allein zu lassen, der hat hier ein weiteres gutes Anschauungsbeispiel.

Es gibt viele Fragen, die jetzt zu klären sind: Gab es tatsächlich vor 2011 keine Hinweise auf das Verhalten von Kardinal Hengsbach? Weshalb wurden die Vorwürfe, die in den Bistümern Paderborn und Essen vorlagen, nicht zusammengeführt? Wer hat die Voruntersuchung in Deutschland geführt? Wer hat in Rom für eine Einstellung der Ermittlungen gesorgt? War es etwa der ehemalige deutsche Papst und vormalige Chef der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger? Alle diese Fragen und weitere Aspekte, die im Rahmen einer Untersuchung auftauchen mögen, sollten möglichst rasch durch eine unabhängige Untersuchungskommission geklärt werden.

Um so länger dieser Missbrauchsskandal schwelt, um so deutlicher und eindringlicher stellt sich die Frage nach der Mitverantwortung von Justiz und Politik. Es muss endlich Schluss sein damit, dass die Kirche oder von ihr beauftragte Gremien die Missbrauchsverbrechen und den Umgang mit diesen Fällen selbst aufzuklären versucht. Wenn wie im vorliegenden Fall Staatsanwaltschaften aufgrund von Verjährung nicht mehr tätig werden können, dann braucht es endlich eine unabhängige Untersuchungs- und Aufklärungsinstanz.

Nachdem der Bundestag es bis heute nicht über sich bringt, eine Untersuchungskommission mit der rückhaltlosen Aufklärung des katholischen Missbrauchsskandal zu beauftragen, geht unser Appell an die Landtage wie in diesem Fall in Düsseldorf: Es ist hohe Zeit für eine Wahrheitskommission bevor nicht nur die Täter, sondern auch die Opfer nicht mehr leben!

Öffnet die Akten! Null Toleranz!
Demonstration am 30. September in Rom

Die Forderung nach Zugang zu den Akten und unabhängige Untersuchungskommissionen auch für die Bestände in der Zentrale der Weltkirche sowie der dort ansässigen Ordensgemeinschaften werden wir Ende der kommenden Woche auch konkret vor den Türen des Vatikans vorbringen. Anlässlich der bevorstehenden Eröffnung der katholischen Weltbischofssynode in Rom werden Betroffene sexuellen Kindesmissbrauchs durch Kleriker der katholischen Kirche aus aller Welt am 30. September in Rom demonstrieren.

Eckiger Tisch und das Aktionsbündnis von Betroffeneninitiativen wird dazu mit Betroffenen aus über 20 Ländern, die sich in der Initiative Ending Clergy Abuse (ECA, ecaglobal.org) organisiert haben, vor den Vatikan ziehen. Mit der inzwischen weltweit bekannten Figur des „Bischofs in der Hängematte“ werden wir auf die mangelnde unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch durch Kleriker hinweisen: in Deutschland und vielen Ländern rund um die Welt.

Wie schon 2019 wird ECA dabei auf die dringend notwendige Verankerung des Grundsatzes von Null-Toleranz im Kirchenrecht hinweisen.

Weitere Informationen zu den geplanten Aktionen im Vorfeld der Weltsynode werden wir in den kommenden Tagen veröffentlichen.

Pressemitteilung vom 19. September 2023

Von Matthias Katsch

Erst der Chef des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, der als Missbrauchstäter und -vertuscher entlarvt wurde, dann der Chef des Kindermissionswerks der Stern­singer, jetzt die verstörenden Bilder über den Gründer eines Afrika-Hilfs­vereins und Ehrendomherrn: Was Bischof Emil Stehle, Prälat Winfried Pilz und Ehrendomherr Edmund Dillinger gemeinsam haben, außer dass es sich um katho­lische Priester handelte? Sie führten ein skrupelloses Doppelleben und haben vielen Menschen sexuelle Gewalt angetan, was erst nach ihrem Tod für die Öffentlichkeit offenbar wurde. Sie waren an herausgehobener Stelle tätig und genossen eine gewisse Promi­nenz. Und dann ist da ihr auffälliges Engagement für die sog. Dritte Welt, den globalen zumeist armen Süden.

Letztes Jahr wurde durch eine Aktenuntersuchung bei der Vermittlungsstelle der Bischofskonferenz bekannt, dass über Jahrzehnte Priester, die in Deutschland sexuelle Übergriffe an Kindern und Jugendlichen begangen hatten, heimlich nach Südamerika verschoben worden waren, direkt unter den Augen der Justiz und manchmal hinter ihrem Rücken. Sogar Identitäten wurden dazu gefälscht.

Es zeichnet sich ein Muster ab. Das Engagement für die Entwicklungszusammen­arbeit der Kirchen muss dringend daraufhin überprüft werden, inwieweit hier Gelegenheitsstrukturen für Täter entstanden sind oder gar geschaffen wurden. Wurden möglicherweise auch in anderen Institutionen Täter „in der Mission“ in Sicherheit versteckt? Gerade auch im Interesse der vielen guten und notwendigen Initiativen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Elend und Leid zu lindern.

Die Vorstellung, dass mit Spendengeldern von Gläubigen und gefördert mit vielen Millionen vom Staat, Missbrauchstätern Zugriffsmöglichkeiten auf besonders vulnerable Kinder und Jugendliche in Armutskontexten geschaffen wurden, macht zornig – entbehrt aber auch nicht einer perfiden Logik.

Und es ist wieder dem Zufall und dem Engagement einzelner Personen zu verdan­ken, dass grausame Taten entdeckt und öffentlich gemacht werden, während die Amtskirche selbst schon lange von den Verbrechen wusste. Hofft diese Kirche immer noch, dass sie sich durchmogeln kann, dass es vielleicht am Ende keiner merkt, dass die Taten in Vergessenheit geraten, weil es der Staat nicht wirklich wissen will und die Aufklärung weiterhin der Kirche selbst überlässt?

Der Fall des Priesters Edmund Dillinger wirft viele Fragen auf zum Umgang der Bischöfe mit Tätern in den eigenen Reihen. Als Begründung dafür, dass man sie nicht aus dem Priesterstand entfernt, wird von Kirchenvertretern ja gerne ange­bracht, dass man besser auf sie aufpassen kann, wenn man sie bei sich behält. Im Ernst?

Wenn aber gerade ihr Priestersein sie überhaupt erst zu Tätern hat werden lassen? Wird damit nicht die Risikosituation verlängert oder verlagert? Sollen Täter am Re­den gehindert werden, indem man sie ruhigstellt: Wir zahlen weiter deine Pen­sion und Du hältst die Klappe darüber, wer Dich geschützt hat, wer Dir geholfen hat. Aufklärung und Aufarbeitung steht auch hier noch am Anfang.

Schließlich der Umgang mit den Hinterlassenschaften der Täter: Hunderte von Bildern und Filmen auf denen sie ihre Verbrechen dokumentiert haben. Was soll damit geschehen? Der Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und Darstel­lungen davon wird ja immer noch nicht ausreichend gesehen. Teile des Materials vorzuzeigen, um die Dramatik des Fundes zu dokumentieren – wie es die Journalis­ten in Koblenz dieser Tage getan haben − war von daher notwendig.

Auf jeden Fall muss aber verhindert werden, dass dieses Material in den Kreislauf der globalen digitalen Missbrauchsdarstellungsindustrie eingespeist wird. Denn dort zirkulieren schon unzählige Abbildungen von sexueller Gewalt, von Kindesmiss­brauch und beschämt die Opfer dieser Verbrechen.

Also einfach vernichten, wie es jetzt von Seiten der Kirche heißt? Nicht so schnell: Dazu könnte das Material noch zu viele Geheimnisse bergen. Stattdessen sollte die Staatsanwaltschaft das Material unter Verschluss nehmen, auswerten lassen und für Ermittlungen verwenden. Sollte tatsächlich alles zu lange her sein, so ist das Material sicher für die wissenschaftliche Bearbeitung von Bedeutung.

Vor allem aber: Für potenziell Betroffene in den Ländern des globalen Südens müssen Anhörungsstrukturen geschaffen werden. Wir wissen, wo die Täter im Einsatz waren, wo sie sich mutmaßlich ausgetobt haben, als ihnen der Boden in Deutschland zu heiß wurde. In Zeiten des Internets ist es kein Hexenwerk Meldemöglichkeiten für potentielle Betroffene zu schaffen. Keinesfalls darf diese im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz angelegt sein.

Diejenigen, die mit Millionenförderung durch den Staat Hilfswerke aufgebaut ha­ben, haben jetzt eine Verantwortung, den Opfern Gehör zu schenken, Betroffene aus dem Schweigen zu holen und das heißt proaktiv über die jetzt aufgedeckten Verbrechen zu kommunizieren. Auch wenn sie das zunächst ihren guten Ruf kostet. Sonst verlieren sie jede Glaubwürdigkeit. So wie die katholische Kirche in Deutsch­land und ihre Bischöfe. „Schock und Scham“ wie auch jetzt wieder reflexartig geäußert, reichen jedenfalls nicht aus.

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