Seit Jahren werden die Opfer sexueller Gewalt durch Kleriker der katholischen Kirche hingehalten. Nachdem man unter dem Eindruck der sog. MHG-Studie bereit schien, tatsächlich Verantwortung für das Versagen der eigenen Institution und ihrer Leitungen in der Vergangenheit zu übernehmen, wird jetzt wieder zurückgerudert.
Dieses Verhalten ist an Boshaftigkeit nicht mehr zu überbieten! Es spekuliert auf die Trägheit der öffentlichen Meinung und die Feigheit der Politik, die einer Auseinandersetzung mit der Kirche gerne aus dem Weg geht.
Die Betroffenen aber sollen offensichtlich weiter zermürbt werden in der Hoffnung, dass sie irgendwann entnervt aufgeben oder schlicht rechtzeitig das Zeitliche segnen, um die Kassen der Kirche zu schonen. Dabei sollte es der reichsten Kirche der Welt nicht schwer fallen, in einer gemeinsamen Anstrengung eine angemessene Lösung für ihre Opfer zu organisieren. Die Zahlen zu den Finanzen der Kirche in Deutschland lassen nur einen Schluss zu: es geht nicht um die finanzielle Möglichkeit, es geht um den Willen!
Spätestens jetzt stellt sich die Frage nach der Mitverantwortung der Laien, die sich gerade anschicken mit den Bischöfen einen Weg der Reform zu gehen. Sie müssten den Bischöfen und den Verantwortlichen der Orden, jetzt in den Arm fallen bei dem Versuch, die Opfer wieder zu hintergehen. Ich erwarte einen starken und klaren Protest der kirchlichen Basis dagegen, dass die Bischöfe und Ordensgemeinschaften offenbar versuchen, sich wieder auf eine Anerkennungszahlung, statt auf eine tatsächliche Entschädigung heraus zu mogeln.
Eine bloß symbolische Anerkennung von Leid reicht nicht aus, es braucht einen tatsächlichen Ausgleich für die Folgen, die im Leben und in der Biographie von Menschen entstanden sind durch das fahrlässige und oft auch vorsätzliche Handeln von Bischöfen und Ordensoberen. Diese haben es vorgezogen, Täter zu schützen und weiter zu versetzen, statt sie zu melden und ihnen damit die Möglichkeit für neue Straftaten zu nehmen. Sie können sich auch nicht darauf hinausreden, damals herrschten ja andere Zeiten. Die Heimlichkeit, mit der sie vorgingen, entlarvt dieses Argument, denn sie mussten nur zu genau, weshalb sie das Licht der Öffentlichkeit scheuten.
Durch das kirchliche Schweigekartell wurden den Opfern die Chance genommen, sich zeitnah um Hilfe und Therapie zu bemühen. Sie wurden zum Schweigen gebracht und darin festgehalten, bis sie sich selbst daraus befreien konnten. Dafür haben die Opfer eine angemessene Entschädigung verdient, unabhängig von ihrer sozialen oder wirtschaftlichen Lage.
Zitat aus einer Mail eines Betroffenen:
„Diejenigen, deren Gesundheit ruiniert wurde und die nicht mehr arbeiten können, sollten eine richtige Entschädigung erhalten, welche sie frei von ihrer unverschuldeten Abhängigkeit vom Sozialamt und Steuerzahler macht. Das wäre eine echte Anerkennung des erlittenen Leids.“
Zum Weiterlesen:
- Unsere Pressemitteilung vom 2. März 2020: #EntschädigungJetzt!
- Unsere Pressemitteilung vom 27. Februar 2020: Sie könnten wenn sie wollten! – Eine Analyse der Bilanzen der deutschen Bistümer
- Argumentationspapier Eckiger Tisch zur „Entschädigung“(2019)
- Empfehlungen der Unabhängigen Arbeitsgruppe 2 „Weiterentwicklung des Verfahrens zur Anerkennung des Leids“:
Unabhängige Arbeitsgruppe stellt Vorschläge vor (24. September 2019)
Nach der Veröffentlichung der MHG-Studie am 25. September 2018 in Fulda haben die deutschen Bischöfe unter anderem beschlossen, das Verfahren zu Leistungen in Anerkennung zugefügten Leids aufgrund der Studie sowie der Erfahrungen der zurückliegenden Jahre fortzuentwickeln. Diese hat am 27. Mai 2019 mit einem Workshop in Bonn begonnen, an dem 28 fachkundige Personen aus Kirche und Gesellschaft teilnahmen. Dazu gehörten Betroffene, Experten aus Wissenschaft, Beratung sowie staatlichen und kirchlichen Stellen. Auf Grundlage dieses Workshops wurde eine unabhängige Arbeitsgruppe beauftragt, einen Vorschlag für die Überarbeitung des bisherigen Verfahrens zu erstellen. Zur Arbeitsgruppe gehörten Prof. Dr. Stephan Rixen (Universität Bayreuth), Dr. Bettina Janssen (Mediatorin und Rechtsanwältin), Roswitha Müller-Piepenkötter (NRW-Justizministerin a. D., Bundesvorsitzende a. D. des Weißen Rings) und Matthias Katsch (Betroffenenorganisation Eckiger Tisch e. V.). Die Vorschläge der Arbeitsgruppe wurden mit dem Personenkreis vom ersten Workshop am 6. September 2019 diskutiert und anschließend nochmals überarbeitet. Heute (Dienstag, 24. September 2019) stellt die unabhängige Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda vor. Wir dokumentieren die Vorschläge: - Interview mit Matthias Katsch: Entscheidung über Entschädigungszahlung steht an (domradio, 2. März 2020)
Statement von Matthias Katsch bei der Pressekonferenz in den Räumen der Auslandspresse in Rom am 17. Februar 2020
(Der Originalbeitrag wurde auf Englisch gehalten. Hier der Text als PDF)
Vor einem Jahr kamen wir hier zusammen, Opfer sexueller Gewalt durch Kleriker aus dreißig Ländern, um dem Papst und der Welt zu zeigen, dass sexuelle Gewalt durch Kleriker ein globales Problem der katholischen Kirche ist, nicht ein Problem des globalen Nordens, des Westens, der USA oder Europas.
Unser Motto war: Null Toleranz! Für Priester und für Bischöfe und Provinziäle, die vertuscht haben. Ein Jahr später sind unsere Forderungen immer noch die gleichen.
Was der Papst und die Kirche getan haben, könnte man zusammenfassen: Zu wenig und zu spät. Und nicht genug.
Wir sprechen nun schon so viele Jahre. In Deutschland fand die Enthüllung vor genau zehn Jahren statt, der so genannte „Missbrauchsskandal“. In den USA ist es mehr als drei Jahrzehnte her, dass Überlebende sich gemeldet haben. Und wir fordern immer noch die Wahrheit über die Verbrechen, Hilfe und Entschädigung für die Opfer.
Dank der Bemühungen der Betroffenen kommen die Dinge langsam aber sicher in Gang. Um die „Kultur des Missbrauchs und der Vertuschung“ (Papst Franziskus) in der Kirche in jedem einzelnen Land zu ändern, braucht man Überlebende, die sich zu Wort melden, und eine Öffentlichkeit, die bereit ist, ihnen zuzuhören.
Werfen wir einen kurzen Blick auf Deutschland.
Nach der Veröffentlichung der so genannten MHG-Studie im Herbst 2018, die Hinweise auf 1670 Täter und 3677 Opfer in den Personalakten der Diözesen gefunden hatte, erklärten die Bischöfe öffentlich, dass sie Hilfe bei der Aufklärung und Aufklärung der Vergangenheit benötigen. Eineinhalb Jahre später verhandeln Regierung und Kirche immer noch darüber, wie eine unabhängige Untersuchung der Fälle aus der Vergangenheit durchgeführt werden kann. Aufgrund der strengen Verjährungsfristen können die meisten Fälle nicht mehr strafrechtlich untersucht werden. In den meisten Fällen werden die Täter nicht mehr verfolgt. Aber zumindest müssen wir wissen, wer was wann getan hat und wer es vertuscht hat.
Erstmals hat auch die Kirche in Deutschland erklärt, dass sie anerkennt, dass sie für den Missbrauch und das System der Vertuschung und das Versetzen von Tätern selbst verantwortlich ist. Deshalb muss sie nun auch als Institution Entschädigungen leisten.
Doch nachdem es so aussah, als ob die Bischöfe dazu bereit wären, rudern sie nun offenbar wieder zurück, und sprechen davon, nur eine „Anerkennungszahlung“ zu zahlen, die vor allem einen symbolischen Wert hat. In den letzten zehn Jahren haben sie bis zu 5000 EUR als „Zahlungen in Anerkennung des Leidens“ angeboten.
Der Kampf ist also in unseren Ländern noch nicht vorbei. Und in anderen Ländern wird er beginnen.
Wir werden weiter fordern: Null Toleranz für die Täter und ihre Komplizen!
Unabhängige Aufklärung der Verbrechen der Vergangenheit! Wenn das Strafsystem dazu nicht in der Lage ist, brauchen wir Wahrheits- und Gerechtigkeitskommissionen!
Und schließlich fordern wir eine angemessene Entschädigung für das Leid in den Biographien und im Leben so vieler Opfer! Keine Zahlung kann die Vergangenheit ändern. Aber sie kann jetzt und für die Zukunft helfen, weiter zu leben.
Der Papst und alle Bischöfe sind aufgerufen, bei der Behandlung von Missbrauchsfällen ihre persönliche Verantwortung und ihr eigenes Mitverschulden zu akzeptieren!
Ein besonderes Problem stellen die Religionsgemeinschaften dar. Wie das „Istituto Provolo“, das im Laufe dieser Woche im Mittelpunkt steht, mit seinen Einrichtungen in Verona, Italien, und Mendoza, Argentinien. Sie werden über die Fälle von höchst verwundbaren Männern und Frauen erfahren, die über mehrere Jahrzehnte hinweg von denselben Priestern in Italien und Argentinien missbraucht wurden. Ihre Geschichte ist ein Muster für das systematische Versagen der Kirche, Kinder zu schützen und stattdessen die Täter zu schützen. Sie wird heute bei der UNO in Genf erzählt.
Diese religiösen Orden unterstehen direkt dem Papst. Theoretisch werden sie von einer kleinen Behörde hier im Vatikan überwacht. In der Praxis tun sie, was sie wollen. Und sie haben Anteil an der staatlichen Immunität des Vatikans. Ihr Hauptquartier ist hier in Rom, und ihre Akten sind somit vor säkularer Justiz geschützt, ebenso wie die Akten in den Archiven der Glaubenskongregation.
Diese religiösen Orden müssen kontrolliert werden. Die Jesuiten ebenso wie die vielen hundert kleinen Institute. Wie die Gesellschaft Mariens, die sich der Gehörlosenpastoral widmet. Und offenbar die Zeichensprache verboten hat… Wer ist wirklich verantwortlich für diese kleinen Gemeinschaften? Wie werden ihre teilweise kriminellen Aktivitäten kontrolliert? Maristen, Christian Brothers, Legionäre Christi… Dies ist eine Frage, die alle zivilisierten Länder betrifft. Und deshalb ist Genf und die UNO der richtige Ort, um sie zu diskutieren.
Es ist gut, dass das Päpstliche Geheimnis endlich gefallen ist. Aber der Zugang zu den Akten für die Ermittler und für die Opfer muss nun auch in Rom wie weltweit gewährt werden.
In dieser Woche werden wir es dem Papst und der Kirche sagen: Öffnen Sie die Archive des Vatikans und der Orden für unabhängige Untersuchungen!
Und einen Plan für eine wirkliche Entschädigung der Opfer in den Ländern entwickeln, in denen die Rechtssysteme keinen Zugang zu den Gerichten zulassen, wie es in Ländern wie Deutschland der Fall ist, wo strenge Verjährungsfristen die Kirche und nicht die Opfer schützen.
Diese Krise betrifft die gesamte Kirche. Sie wird nicht enden, bevor nicht alle Geschichten erzählt und gehört, alle Verbrechen aufgeklärt und alle Opfer entschädigt worden sind.
Das ist es, woran wir arbeiten. In unseren jeweiligen Ländern. Und vereint in Solidarität als ECA, ein globales Gerechtigkeitsprojekt zusammen mit SNAP und bishopsaccountability.org .
Wir wollen dazu beitragen, dass es aufhört – der Missbrauch, denn er ist nicht vorbei, er geht weiter und weiter. Kinder und Jugendliche sind immer noch in Gefahr.
Und wir wollen, dass die Forderungen der Opfer endlich erfüllt werden.
Das Buch „Damit es aufhört. Vom befreienden Kampf der Opfer sexueller Gewalt in der Kirche“ von Matthias Katsch ist am 14. Januar 2020 im Nicolai-Verlag erschienen. Es ist Rückblick und Ausblick.
Zehn Jahre zuvor, am 14. Januar 2010 saßen zwei Schulkameraden und er im Büro des damaligen Rektors ihrer alten Schule, dem Berliner Canisius-Kolleg und schilderten ihm, was ihnen als Kindern und Jugendliche durch Priester des Jesuiten-Ordens angetan worden war. Sie schätzten, dass es wahrscheinlich über hundert weitere Opfer geben müsse. Kurz darauf sollte sich dies bestätigen (vgl. die Dokumentation auf dieser Seite).
Das Ziel von Katsch war es damals, die Kameraden aus der Schulzeit in den 70er und 80er Jahren zu erreichen. Dafür wollten er und seine Mitstreiter den Alumni-Verteiler nutzen. Klaus Mertes, der Rektor, entschied sich, selbst jenen Brief zu schreiben, der exakt zwei Wochen später in der Berliner Morgenpost erschien und den so genannten #Missbrauchsskandal in Deutschland auslöste. Wenig später wurde „Eckiger Tisch“ als Betroffeneninitiative gegründet.
Das Buch, in dem Matthias Katsch die Vorgeschichte schildert und berichtet, wie die Betroffenen damals diese Welle der Enthüllungen erlebt haben, zeichnet den langen Weg nach, den wir seit dem als Betroffene gegangen sind. Der Eckige Tisch ist heute ein gemeinnütziger Verein, der sich für alle Opfer sexueller Gewalt in der Kirche einsetzt.
Das Buch ist eine persönliche Bilanz aber schildert auch den inzwischen weltweiten Kampf von Betroffenen sexueller Gewalt in der Kirche.
Heute und in Zukunft geht es darum, aus der Aufarbeitung der Gewaltgeschichte kirchlicher und anderer Einrichtungen zu lernen, um sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in allen Tatkontexten zu bekämpfen:
#DamitEsAufhört
#EndItNow
Matthias Katsch: „Damit es aufhört – Vom befreienden Kampf der Opfer sexueller Gewalt in der Kirche“ ( Nicolai-Verlag)
Donnerstag, 23. Januar 2020, 19.00 Uhr
Ort: Psychologische Hochschule Berlin, Hörsaal
Am Köllnischen Park 2, 10179 Berlin (Mitte)
Moderation und Gespräch: Peter Wensierski / DER SPIEGEL
Im Anschluss an die Präsentation freuen wir uns, wenn Sie mit uns anstoßen – auf das Buch und auf den langen Weg, den wir seit 2010 zurückgelegt haben. Um den Empfang besser planen zu können, wird um eine Anmeldung gebeten unter kontakt(at)nicolai-publishing.com .
Der Eintritt ist frei. Wir bitten um eine Spende für die Arbeit von Eckiger Tisch e.V.