Anfang 2010 haben ehemalige Schüler des Canisius-Kollegs in Berlin die öffentliche Debatte über die Missbrauchsfälle durch katholische Priester angestoßen und die Betroffeneninitiative ECKIGER TISCH gegründet. Seitdem kümmert sich ECKIGER TISCH um die Interessen der sehr zahlreichen Betroffenen.
Nach neun Jahren privater Finanzierung aus unseren privaten Geldmitteln sind wir an unser Limit gestoßen. Wir leisten unter anderem Beratung und Vernetzung sowie intensive Presse- und Lobbyarbeit für die Betroffenen des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Das ist mittlerweile quasi ein Fulltimejob geworden. Fast täglich wenden sich Betroffene aus ganz Deutschland an uns.
Unser Jahresbericht 2018 vermittelt einen Eindruck unserer Aktivitäten. Leider erhält der ECKIGE TISCH keinerlei finanzielle Unterstützung, weder von der katholischen Kirche noch von staatlicher Seite. Daher bitten wir jetzt um Spenden. Unser Verein ist gemeinnützig und stellt steuerabzugsfähige Spendenquittungen aus:
ECKIGER TISCH e.V.
IBAN: DE89100205000001271777
Bank für Sozialwirtschaft
BIC: BFSWDE33BER
Dies ist eine wichtige Nachricht für die vielen Opfer dieses Mannes: In Berlin, im Bistum Hildesheim, in Südamerika. Als Sprecher der Betroffeneninitiative ECKIGER TISCH, als Betroffener und als Kläger bin ich persönlich erleichtert, dass dieses Verfahren nach acht Jahren nun endlich abgeschlossen ist.
Bitter ist jedoch die Erkenntnis, dass es nicht zu einem weltlichen Urteil kommen wird. Das hätte ganz andere Auswirkungen gehabt. Auch wenn das Strafmaß noch nicht öffentlich bekannt ist, so ist dieses Ergebnis wohl das Beste, was im Rahmen eines kirchliches Verfahren überhaupt erreicht werden konnte. Insofern haben sich die enormen Anstrengungen der Betroffenen, die an dem Verfahren mitgewirkt haben, gelohnt. Zugleich sind wir traurig, weil nicht alle Opfer dieses Serientäters diesen Tag mehr erleben können.
Wir begrüßen, dass Staatsanwaltschaften in Deutschland Ermittlungen wegen sexuellen Kindesmissbrauchs aufgenommen haben, nachdem eine Gruppe von Strafrechtlern im Gebiet aller 27 deutschen Diözesen Anzeige gegen Unbekannt erstattet hat.
Gerechtigkeits- und Wahrheitskommission
Viele Fälle aus der Vergangenheit entziehen sich jedoch einer staatsanwaltlichen Ermittlung, etwa wenn nach Vorermittlungen feststeht, dass der Täter verstorben oder die Tat bereits verjährt ist. Das dürfte für die Mehrzahl der in der MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz erwähnten 3.677 Fälle gelten.
Deshalb erneuern wir unsere Forderung zur Einrichtung einer Gerechtigkeits- und Wahrheitskommission. Diese Kommission muss unabhängig sein, in staatlichem Auftrag ermitteln, Zeugen anhören und alle relevanten Archive und Akten auswerten. Eine unabhängige Aufarbeitung muss Namen, Fakten, Orte etc. konkret benennen, um Täterstrategien, Netzwerke, Muster aufzeigen zu können und Täter zu stoppen.
Anzeige aller bekannten Täter
Weiterhin fordern wir, dass alle 27 Bistümer und die zahlreichen Ordensgemeinschaften alle ihnen bekannten Missbrauchsfälle, bei denen die Täter noch leben, bei der Staatsanwaltschaft anzeigen. Es ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft, eine Verjährung bzw. einen weiteren Ermittlungsbedarf festzustellen, nicht aber die Aufgabe der Institution, bei der der Täter angestellt ist. Wie das aktuelle Beispiel zeigt [1], kann ein Täter, der in der Vergangenheit wegen Taten beschuldigt wird, die bereits verjährt sind, in der Folge durchaus nicht verjährte Taten begangen haben.
Entschädigung der Betroffenen
Außerdem fordern wir Gespräche darüber, wie eine angemessene Entschädigung für die Betroffenen sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche aussehen kann.
Zu der von der katholischen Kirche angekündigten Einführung eines „Gedenktages“ für Betroffene sexuellen Missbrauchs verweisen wir auf die oben genannten Forderungen nach Aufarbeitung, Hilfe und Entschädigung.
Gedenken, Entschuldigungen oder „Buße“ allein genügen nicht. Wenn die Kirche mit der Unterstützung des vom Europarat ins Leben gerufenen Aktionstages (18. November) ihre eigenen Bemühungen um Prävention intensivieren will, dann begrüßen wir dies. Es ist jedoch nicht angemessen, des Missbrauchs in der katholischen Kirche rückblickend wie eines historischen Ereignisses zu gedenken. Auch heute sind Kinder in Gefahr. Und die Opfer der Vergangenheit warten immer noch auf Wahrheit und Gerechtigkeit. Dazu gehört auch eine angemessene Entschädigung.
[1] ARD-Reportage „Meine Täter, die Priester“ vom 15.10.2018 (www.youtube.com/watch?v=X9Mz04dQKdw) über den Priester Peter Riedel, der 2010 im Mittelpunkt des Missbrauchsskandals am Berliner Canisius-Kolleg stand und in den folgenden Jahrzehnten bis in die jüngste Vergangenheit weiterer Übergriffe beschuldigt wird.
Seit der Veröffentlichung der Reportage „Meine Täter, die Priester“ von Eva Müller in der ARD und im Internet haben wir eine große Zahl von positiven Reaktionen auf den Beitrag und auf die Recherche unseres Sprechers Matthias Katsch erhalten. Dafür sind wir und insbesondere Herr Katsch zutiefst dankbar.
Bei der Reise nach Chile ging es jedoch nicht um seine persönliche Aufarbeitung. Nicht nur die durch den deutschen Priester Peter R. missbrauchten chilenischen Frauen warten seit Jahren darauf, dass man ihre Fälle aufarbeitet, und ihnen Hilfe und angemessene Entschädigung zukommen lässt. Auch in Deutschland gibt es viele Tausend Betroffene, die in den vergangenen Jahrzehnten sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester ausgesetzt waren und seit Jahren vergeblich darauf hoffen, dass in ihren Fällen konkret ermittelt wird.
Betroffene haben ein Recht darauf, zu erfahren,
- unter welchen konkreten Umständen sie als Kinder oder Jugendliche zu Opfern von Missbrauchstätern wurden,
- ob es möglicherweise in ihrem Umfeld noch andere Betroffene gab, die dasselbe Schicksal erleiden mussten,
- wer die Verantwortung dafür trägt, dass die Taten über Jahre hinweg vertuscht, die Täter geschützt und den Opfer keine Hilfe angeboten wurde,
- wo sich die Täter heute befinden und ob möglicherweise noch heute eine Gefahr von ihnen ausgeht.
Auch die Angehörigen (hier insbesondere die Eltern) der Betroffenen haben − ebenso wie das Umfeld, in dem die Taten geschahen (Pfarrei, Schule etc.) − ein Recht darauf zu erfahren, wie es möglich war, dass so viele Kinder und Jugendliche in den Strukturen der katholischen Kirche Opfer von sexuellem Missbrauch wurden.
Die Beantwortung dieser und anderer Fragen sowie die Erfahrung von Gerechtigkeit und ernsthaftem Aufklärungswillen sind grundlegende Voraussetzungen für die individuelle Bewältigung der traumatisierenden Missbrauchserfahrungen. Viele Betroffene haben lebenslange und teilweise irreparable Schäden erlitten.
Individuelle Aufarbeitung bildet auch die Grundlage für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung und ermöglicht so wirksame Prävention. Aufarbeitung kann nicht durch eine quantitative wissenschaftliche Untersuchung ersetzt werden, bei der − wie im Falle der kürzlich veröffentlichten MHG-Studie − Zahlengerüste ermittelt werden. Darüber hinaus hat sexuelle Gewalt in Einrichtungen der katholischen Kirche nach unserer Überzeugung eine völlig andere Dimension, als die kürzlich veröffentlichten Zahlen annehmen lassen.
Aufarbeitung muss konkret sein. Die katholische Kirche selbst kann das nicht leisten, wie einige ihrer Vertreter inzwischen selbst einräumen. Deshalb ist jetzt der Staat gefordert. Es braucht eine unabhängige Untersuchung durch eine Kommission von Ermittler*innen, die Betroffene sowie Zeitzeug*innen anhört und Akten auswertet. Die Kirche muss den Zugang zu ihren Unterlagen gewähren. Dafür gibt es Vorbilder (Irland, Australien, Pennsylvania).
Es geht auch um Gerechtigkeit. Die Opfer von einst haben heute ein Recht auf Aufklärung, auf Hilfe und auf Entschädigung.
Es braucht jetzt eine Gerechtigkeits- und Wahrheitskommission.
In ihrer ARD-Dokumentation „Richter Gottes“ hatte die WDR-Journalistin Eva Müller im Herbst 2015 einen aktuellen, nicht verjährten Missbrauchsfall durch Peter Riedel im Bistum Hildesheim recherchiert und aufgedeckt (Video). Im Januar 2016 sendete der WDR den zweiten Teil der Dokumentation (Richter Gottes 2).
Für ihren neuen Film „Meine Täter, die Priester“ hat sie Matthias Katsch nach Chile begleitet, wo er sich auf Spurensuche nach den beiden Haupttätern vom Canisius-Kolleg (Peter Riedel und Wolfgang Statt) begeben hat. Wolfgang Statt lebt bis heute in Chile, Peter Riedel lebt in Berlin. In Chile finden sie weitere Missbrauchsopfer von Peter Riedel.
https://www.youtube.com/watch?v=JSju_MIE0M0&feature=youtu.be
Pressetext: Dass der Umgang der Kirche mit Missbrauch auch aktuell noch problematisch ist, zeigt nun einer der prominentesten Opfervertreter in Deutschland – Matthias Katsch – in einer exklusiven ARD/WDR Recherche auf. Der ehemalige Canisius-Schüler und Sprecher der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“ hat 2010 den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Deutschland ausgelöst. Über dreißig Jahre blieben die Verbrechen seiner Täter, der Jesuitenpriester Peter R. und Wolfgang S. im Verborgenen. Erst 2010 werden ihre Taten am Canisius-Kolleg durch Matthias Katsch und seine Mitschüler öffentlich. Und dann? Nur so viel ist bislang bekannt: Beide Täter wurden nach 2010 in Chile gesehen.
Weil die Aufklärung nicht voran geht, hat Matthias Katsch die Dinge nun selbst in die Hand genommen. Er ist nach Chile gereist und hat dort nach den Spuren seiner Täter und weiteren Opfern gesucht – und sie gefunden. Story-Autorin Eva Müller hat ihn dabei mit der Kamera begleitet. Die Recherche zeigt: Der zweite Haupttäter am Canisius-Kolleg, Wolfgang S., wohnt bis heute in Chile und hat dort einen Sportverein für Jugendliche gegründet. Er hat seinem ehemaligen Kollegen Peter R. von dort aus Jugendliche zum „Stipendium“ nach Deutschland vermittelt. Während dieser Aufenthalte werden die Jugendlichen von Peter R. missbraucht.
Eine Rolle spielt auch das größte Sozialwerk Südamerikas: Christo Vive. Auch von hier aus brachen Jugendliche zu Priester Peter R. nach Deutschland auf, um bis zu einem Jahr bei ihm zu leben. Die Betroffenen sprechen in der ARD zum ersten Mal über Ihren Missbrauch durch Peter R. in Hildesheim, Berlin und Hannover.
Wiederholungstermine auf tagesschau24:
- Freitag, 19. Oktober 2018, 21:17 Uhr
- Samstag, 20. Oktober 2018, 13:15 Uhr
- Donnerstag, 25. Oktober 2018, 19:15 Uhr
- Sonntag, 28. Oktober 2018, 09:15 Uhr
Einen kleinen Überblick zu Peter Riedel und Wolfgang Statt kann man hier nachlesen. Die aktuellen Reaktionen auf die Reportage kann man hier verfolgen.
Da die katholische Kirche nach ihren kurzen Scham- und Entschuldigungsbekundungen auch acht Jahre nach Beginn der öffentlichen Debatte keinerlei konkrete Schritte vorlegt − wie die die Offenlegung ihrer Archive und eine angemessene Entschädigung − fordern wir angesichts der vielen Tausend Betroffenen sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester:
- Politik und Strafverfolgungsbehörden müssen den Schutz der Betroffenen gewährleisten und tätig werden
Wir fordern die Politik auf, den Schutz der Betroffenen zu gewährleisten und sie nicht der Willkür der Kirche zu überlassen. Der Staat kann nicht länger zulassen, dass die Verbrechen durch katholische Priester von der Kirche intern geregelt und vertuscht werden. Angesichts des institutionellen Versagens der Kirche bedeutet ein Gewährenlassen gleichzeitig auch ein Staatsversagen.
Wir fordern daher die Strafverfolgungsbehörden in Deutschland auf, tätig zu werden. Während Staatsanwaltschaften − beispielsweise beim Anfangsverdacht der Vertuschung von Abgasmanipulationen von Kraftfahrzeugen − konsequent ermitteln und etwaiges Beweismaterial sicherstellen, ist dies bei Missbrauchsfällen durch Priester im Bereich der katholischen Kirche bislang konsequent unterblieben. Bei Straftaten wie dem sexuellen Missbrauch von Kindern muss die Staatsanwaltschaft tätig werden. Da die katholische Kirche weiterhin keine konkrete Bereitschaft zeigt, Täter zu benennen, fordern wir die Strafverfolgungsbehörden auf, den bekannten Anfangsverdachtsfällen jetzt entschlossen nachzugehen und endlich zu ermitteln.
Im MHG-Untersuchungsbericht wird die Zahl von 1.670 Tätern genannt. Das sind 1.670 konkrete Anfangsverdachtsfälle, denen nachgegangen werden muss: Welche Täter leben noch, welche sind weiterhin aktiv, wie heißen diese Täter, wo fand (oder findet) der Missbrauch statt, welche Fälle sind noch nicht verjährt? Das alles wissen wir nicht, weil die Kirche es nicht wissen will. Die Staatsanwaltschaften, die in den vergangenen acht Jahren in Deutschland untätig geblieben sind, müssen daher jetzt endlich handeln, damit Kinder heute nicht länger einem Risiko durch die noch lebenden und aktiven Täter ausgesetzt sind.
Fälle, die nach dem Dafürhalten der Staatsanwaltschaften offensichtlich verjährt sind, müssen künftig durch eine von der Regierung einzurichtende unabhängige Untersuchungskommission aufgeklärt werden.
Betroffenen muss ein Einsichtsrecht in die ihren Fall betreffenden Unterlagen bei den Bistümern und Ordensgemeinschaften gewährt werden. Die Opfer haben ein Recht darauf, etwas über die Tatumstände und das Handeln der verantwortlichen Vorgesetzten zu erfahren. Auch die Gesellschaft sollte wissen, was aus den Tätern wurde.
- Wir fordern zu Entschädigungszahlungen auf, die der Schwere des Schadens gerecht werden
Die Menschen, die in ihrer Kindheit von katholischen Priestern missbraucht worden sind, sind häufig massiv geschädigt worden. Sie müssen lebenslang mit den zerstörerischen Auswirkungen des Missbrauchs weiterleben. Viele Lebensbereiche können von weitreichenden Beeinträchtigungen betroffen sein:
- Viele Betroffene haben in ihrem weiteren Leben erhebliche Probleme bei zwischenmenschlichen Beziehungen, Bindungen und Partnerschaften.
- Oft wurde die Beziehung zum eigenen Körper beschädigt, Intimität und Sexualität sind daher für viele Betroffene problembelastet.
- Viele Betroffene konnten und können sich nicht beruflich und erwerbsmäßig ent
- Viele Betroffene leiden über die gesamte Lebensspanne verschiedenen psychischen Problemen wie Depressionen, andere psychische Erkrankungen oder Suchterkran
- Manche Betroffene, die nicht die Kraft hatten, mit dem Erlittenen weiterzuleben, haben ihr Leben beendet.
Eine Wiedergutmachung dieser Schäden ist nicht möglich. Die Taten und die Schäden können nicht rückgängig gemacht werden. Eine Entschädigung kann aber dazu beitragen, dass betroffene Menschen besser mit diesem Leben klarkommen und mit den Beeinträchtigungen weiterleben können.
Wenn die Kirche die bisher angebotenen ‚Anerkennungsleistung‘ von bis zu 5.000 Euro mit dem Faktor 100 multipliziert, dann wäre dies ein Betrag, der sich für Betroffene tatsächlich wie der Versuch einer Entschädigung anfühlen und damit dem Ausmaß des persönlichen Schadens ansatzweise gerecht werden würde.
Matthias Katsch / Sprecher ECKIGER TISCH
Download der Pressemitteilung vom 28. September 2018
27. September 2018 – Matthias Katsch, Sprecher der Betroffenenvereinigung ECKIGER TISCH, erklärte nach der Pressekonferenz der Bischöfe: „Wir haben zwar nicht erwartet, dass die katholischen Bischöfe in den Fragen der Aufarbeitung und der Entschädigung jetzt zu schnellen Ergebnissen kommen, aber diese dürftigen Ankündigungen lassen uns fassungslos zurück.“
Hinweis: Den „Sieben-Punkte-Plan“ der Deutschen Bischofskonferenz (Pressemitteilung vom 27. September 2018)kann man hier nachlesen.
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Die Studie wirft ein Schlaglicht auf das Ausmaß der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der katholischen Kirche in Deutschland. Ein großer Teil der Verbrechen bleibt jedoch weiterhin im Dunkeln.
Kritik am Studiendesign
Die jetzt vorgelegte sozialwissenschaftliche Studie darf nicht mit Aufarbeitung verwechselt werden. Wir erfahren keine Namen von Tätern. Es werden auch keine verantwortlichen Bischöfe genannt, die das System aus sexuellen Übergriffen über Jahrzehnte gedeckt und perfektioniert haben.
Stattdessen wurden Zahlen erhoben, die nur einen sehr unvollständigen Eindruck vom tatsächlichen Ausmaß des Missbrauchs durch Priester vermitteln. Zum einen ist die Studie vom Umfang her unvollständig, weil die Ordensgemeinschaften (beispielsweise Jesuiten, Benediktiner etc.) nicht untersucht wurden. Ordensgemeinschaften von Frauen wurden ebenfalls nicht einbezogen.
Zum anderen bleibt die Studie nur an der Oberfläche dessen, was in den erhalten gebliebenen Personalakten der Institution zu finden ist. Das System aus Missbrauch, Versetzung und Vertuschung konnte aufgrund des Settings der Studie nicht abgebildet werden. Die tatsächliche Zahl der betroffenen Menschen, die sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche erleben mussten, bewegt sich in völlig anderen Dimensionen, als es die vorgelegten Zahlen suggerieren.
Forderung nach unabhängiger Aufarbeitung
Es ist jetzt auch endgültig deutlich geworden, dass sich eine Organisation, in der so viele Täter und Vertuscher aktiv waren, nicht selbst aufarbeiten kann. Betroffene haben ein Recht auf die Wahrheit und die Fakten ihres konkreten Falls. Abstrakte wissenschaftliche Studien können das naturgemäß nicht leisten. Eine unabhängige Aufarbeitung muss Namen, Fakten, Orte etc. konkret benennen, um Täterstrategien, Netzwerke, Muster aufzeigen zu können und Täter zu stoppen.
Daher fordern wir eine unabhängige, staatliche Untersuchungs- und Aufarbeitungskommission. Diese muss professionell ausgestattet sein und Zugang zu allen Akten bekommen. Sie muss Betroffene anhören und Zeugen vernehmen. Dazu muss die Kirche ihre Bereitschaft zur Öffnung ihrer Archive erklären. Gute Vorbilder hierfür sind beispielsweise die australische „Royal Commission“ oder die staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen in Pennsylvania. Auch der Vatikan muss Zugang zu den dort befindlichen Missbrauchsakten gewähren. Dort lagern Tausende von Akten, die sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch Priester in aller Welt dokumentieren.
Forderung nach angemessener Entschädigung
Die Studie zeigt, dass wir es nicht mit einer Anzahl von Einzelfällen zu tun haben, sondern dass die Kirche als Institution versagt hat. Dafür muss sie die Verantwortung gegenüber den Betroffenen übernehmen. Bisher gewährt die Kirche auf Antrag lediglich eine so genannte „Materielle Leistung in Anerkennung des Leids“ von durchschnittlich 3.000 Euro, weil sie sich nicht für die Taten selbst verantwortlich fühlt, sondern lediglich anerkennt, dass dem Opfer durch den Täter Unrecht widerfahren ist. Spätestens durch die jetzt vorliegende Studie ist deutlich geworden, dass in der Katholischen Kirche Täter systematisch geschützt und dadurch Kinder fortgesetzt sexuellen Übergriffen ausgesetzt wurden, beispielsweise durch die beschriebene Praxis der wiederholten Versetzungen von Tätern. Daher fordern wir endlich eine angemessene Entschädigung für die Opfer.
Matthias Katsch / Sprecher ECKIGER TISCH
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ECKIGER TISCH in den Medien
Es ist gut, dass wir nun endlich Zahlen vorliegen haben, die belegen, was wir schon ahnten: Die Kirche in Deutschland ist genauso wie ihre Schwesterkirchen in den USA, Australien, Irland und vielen anderen Ländern der Erde, in denen die katholische Kirche vertreten ist, in ein System aus Missbrauch und Vertuschung verstrickt, und hat es über Jahrzehnte verstanden, die Öffentlichkeit darüber zu täuschen.
Die Studie zeigt uns dabei nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit. Akten wurden vernichtet, viele Fälle sind nicht richtig dokumentiert worden, die Aktenführung ist konfus.
Vor allem, es fehlen die Aussagen der Opfer, es gab keine Zeugenvernehmungen, keine Möglichkeit, direkt in den Archiven nach Querverbindungen, Tatmustern, Mitwissern zu suchen.
Dennoch ist das, was sich hier in nüchternen Zahlen zeigt, erschütternd, wenn man sich das Leid vorzustellen vermag, dass über so viele Kinder und Jugendliche, ihre Familien und Angehörigen gebracht wurde.
Das erschreckende Ausmaß sexueller Gewalt von Priestern gegenüber Kindern und Jugendlichen macht deutlich was wir dringend brauchen: eine umfassende, unabhängige Untersuchung. Dafür muss die Kirche den direkten Zugang zu Ihren Akten und Archiven bereitstellen. Als Vorbilder können dabei die Untersuchungen durch Kommissionen in Pennsylvania und Australien dienen, die mit staatsanwaltlichen und kriminalistischen Mitteln diese Verbrechen aufklären muss.
Wir erfahren keine Namen von Tätern, es werden keine Verantwortliche Bischöfe identifiziert, die das System aus sexuellen Übergriffen und Vertuschung über Jahrzehnte gedeckt und perfektioniert haben.
Seit acht Jahren verspricht die Kirche sich um die Aufarbeitung zu kümmern. Weitgehend teilnahmlos schauen Politik und Gesellschaft diesen Bemühungen zu. Jetzt ist klar: eine Organisation von Tätern und Vertuschern kann sich nicht selbst aufarbeiten.
Ich appelliere an Politik und Gesellschaft, sich für die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für eine unabhängige, professionell ausgestattet Untersuchungskommission einzusetzen.
Und schließlich: Es wird Zeit, dass die Politik die Kirche an die Empfehlung des Runden Tisches erinnert, mit ihren Opfern eine Einigung über eine angemessende Entschädigung für dieses System aus Missbrauch und Vertuschung zu suchen. Die von den Bischöfen einseitig implementierte Anerkennungszahlung ist kein Ersatz dafür. Sie ist willkürlich und intransparent im Verfahren und lächerlich in den zuerkannten Summen, die im Mittel nicht einmal 3000 Euro betragen. Viele Betroffene wurden mit 1.000 oder 2.000 Euro abgewimmelt.
Angesichts der betroffenen Entschuldigungserklärungen, die wir schon bald wieder hören werden: Diese sind solange unglaubwürdig, wie die Bischöfe sich nicht zu einer umfassenden Aufarbeitung und damit verbunden der Zahlung von angemessenen Entschädigungen für das Versagen ihrer Institution bereiterklären.
Matthias Katsch, 12. September 2018
Einen Überblick über die aktuelle Medienberichterstattung zum Thema finden Sie HIER
Das Münchner „Institut für Praxisforschung und Projektberatung“ (IPP) hat eine umfangreiche Studie zum Verhalten des Bistums Hildesheim im Fall des Ex-Jesuitenpaters Peter Riedel vorgelegt, der schon am Berliner Canisius-Kolleg zu den Haupttätern gehörte. ECKIGER TISCH hatte sich dafür in den letzten Jahren intensiv eingesetzt.
Hier ist ein Link zu der Pressekonferenz vom 16.10.17, in der die Studie vorgestellt wurde.
Die Studie findet sich hier zum Download.
Dazu haben wir eine erste Stellungnahme veröffentlicht:
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Eine Dokumentation jahrzehntelangen Versagens
- Der überaus gründlichen Studie der Experten vom IPP ist es gelungen, Licht in die zwanzigjährige Einsatzzeit des Jesuitenpaters Peter Riedel (alias Anton P., Pater Anton) im Bistum Hildesheim zu bringen. Während dieser Zeit war er ständig in der Jugendarbeit tätig, obwohl er 1982 Berlin und das Canisius Kolleg aufgrund von Übergriffen auf minderjährige Jungen verlassen musste.
- Das Gutachten belegt ein fortdauerndes Führungsversagen im Bistum Hildesheim. Geradezu exemplarisch wird die mangelnde Personalverantwortung für Priester illustriert, die sich zwischen verschiedenen kirchlichen Gliederungen bewegen, wie Riedel zwischen dem Jesuitenorden und dem Bistum. Ein unklares Kapitel bleiben die wiederkehrenden Besuche in Lateinamerika, bei denen er offenbar „priesterlich“ im Einsatz war und möglicherweise immer noch ist.
- Die Vorwürfe, die die Betroffeneninitiative ECKIGER TISCH 2015 gegen die Bistumsleitung erhoben hatte, wurden in vollem Umfang bestätigt. Gegen die Leitlinien der DBK wurde verstoßen. Das Bistum ist über viele Jahre seinen dienstrechtlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen und hat Kinder und Jugendliche einer tatsächlichen Gefahr ausgesetzt. Opfer hätten verhindert werden können, wenn gehandelt worden wäre.
- Die strafrechtliche Auseinandersetzung mit den Vorwürfen bezüglich des Mädchens, welches sich 2010 wegen nichtverjährter Übergriffe gemeldet hatte, wurde zumindest fahrlässig behindert. Die zahlreichen vorhandenen Informationen zu Übergriffen 1989, 1993 und 1997 wurden nicht an die Berliner Staatsanwaltschaft weitergegeben und damit letztlich eine angemessene Bestrafung verhindert – auch wenn sich die Behörde in Berlin den Vorwurf gefallen lassen muss, bei ihren Ermittlungen nicht besonders engagiert gewesen zu sein.
- Guter Wille und gute Intentionen reichen nicht aus, um Kinder wirksam zu schützen. Nur wenn rückhaltlos aufgeklärt wird, wie jetzt geschehen, werden hoffentlich auch die geeigneten Konsequenzen gezogen. Es wird Zeit für eine Professionalisierung des Engagements für den Kinderschutz. Dazu gehört – wie von den Gutachtern empfohlen – die Zusammenarbeit mit externen Fachberatungsstellen und ExpertInnen.
- Besondere Verantwortung trifft den Jesuitenorden, der spätestens seit 1981 von den Vorwürfen gegen seinen Mitbruder wusste, auch danach immer wieder Kenntnis von der von Riedel ausgehenden Gefahr erhielt, und sich weder zu einer klaren Haltung gegenüber dem Täter durchringen konnte, noch die Kollegen im Bistum Hildesheim klar informiert hat. Es bleibt der Verdacht, dass man im Orden sehr froh war, den „schwierigen Mitbruder“ schadensmindernd losgeworden zu sein.
- Ein Satz bleibt besonders im Gedächtnis: „Es ist an keiner Stelle ein aktives Interesse der Verantwortlichen zu identifizieren, Taten aufzudecken, die über unmittelbar vorgebrachte Beschwerden hinausgehen.“ (s. S. 54) Das heißt umgekehrt: Ohne den langen Atem und die beharrliche Geduld von Betroffenen, hätte es bis heute keine Aufklärung und damit keinen Ansatz für eine Aufarbeitung gegeben.
- Eines ist klar: die Aufarbeitung ist keineswegs mit der Vorlage dieses wichtigen Gutachtens beendet. Der Fall Riedel muss kirchenrechtlich weiterhin bearbeitet werden, die zahlreichen Empfehlungen der Autoren müssen umgesetzt, Versäumnisse der Vergangenheit müssen wiedergutgemacht, den Opfern Angebote zur Hilfe, Unterstützung und Entschädigung gemacht werden.
Wir würdigen die Anstrengungen insbesondere vieler Laien in der Kirche für einen besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen. Wir erwarten unsererseits auch keinen Dank, aber vielleicht kann irgendwann -auch von Seiten des Bistums- der Kampf der Betroffenen gewürdigt werden. Denn ohne die Aufdeckung der Versäumnisse der Vergangenheit gäbe es jene Erkenntnisse nicht, die nun hoffentlich für einen besseren Kinderschutz genutzt werden.
Anlässlich des Papstbesuchs in Chile und Peru haben sich in Santiago de Chile zahlreiche Vertreter von Initiativen Betroffener sexuellen Kindesmissbrauchs in der Kirche versammelt, um sich auszutauschen. Ziel dieser Zusammenkunft wird es sein, die katholische Kirche auf globaler Ebene zu einer Auseinandersetzung mit ihrer systemischen Verantwortung für die zahllosen Fälle von sexueller Gewalt durch Priester gegen Kinder und Jugendliche zu zwingen. Eine wichtige Rolle spielt die Frage, wie die bisherige informelle Zusammenarbeit der Gruppen aus aller Welt, die sich in den letzten Jahren bei einer Reihe von Zusammenkünften entwickelt hat, in Zukunft auf eine organisierte Basis gestellt werden kann.
Es werden VertreterInnen u.a. aus Chile, Peru, Argentinien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den USA, Jamaika erwartet. Unterstützung erhalten die Betroffenen durch eine Reihe von Gästen, die den Kampf der Opfer / Überlebenden unterstützen.
Dazu gehören aus Ecuador die ehemalige Vize-Vorsitzende des UN-Kinderrechtskomitees Sara Oviedo und aus Mexiko Alberto Athie, der wesentlich an der Aufdeckung des Missbrauchsskandals um den Gründer der Legionäre Christi in seinem Heimatland mitgewirkt hat.
ECKIGER TISCH bringt zu diesen Beratungen drei Forderungen mit: