In einem Schreiben an den Eckigen Tisch haben sich die beiden neuen „Beauftragten zum Thema sexualisierte Gewalt“ kurz vorgestellt. Hier Auszüge:

„Frau Katja Ravat ist Rechtsanwältin mit Tätigkeitsschwerpunkt Strafrecht, Nebenklagevertretung und Opferrechte und mit ihrer Kanzlei seit 2004 im Raum Freiburg ansässig. Sie ist ehrenamtlich in der Geschädigtenbetreuung des Weissen Rings Breisgau-Hochschwarzwald und im Vorstand von Frauenhorizonte e.V. -Anlauf- und Fachberatungsstelle gegen sexuelle Gewalt an Frauen- tätig.“

Marek Spitczok von Brisinski arbeitet „seit 2007 bei HILFE-FÜR-JUNGS e.V. in Berlin in der Prävention, Beratung und Unterstützung von Jungen und jungen Männern, die von sexueller Gewalt betroffen oder bedroht sind. Weitere Informationen zu meiner derzeitigen Arbeit unter: www.mut-traumahilfe.de „

„Wir haben unsere Aufgaben unter uns zunächst regional aufgeteilt, Frau Ravat für das südliche Deutschland und ich für die nördliche Hälfte.
Darüber hinaus können Betroffene sich gerne entweder an eine Frau oder einen Mann, eine Juristin oder mich mit psychosozialem Arbeitshintergrund wenden.“

Schließlich bezeichnen es die neuen Beauftragten als ein Anliegen „mit Betroffenenvertreter_innen zu sprechen, um sich über offene Wünsche, Forderungen und Ideen der Aufarbeitung auszutauschen.“ Ausgangspunkt dafür könnte zum Beispiel der Punkt 4 des Regensburger Forderungskatalogs sein. Ein erstes Gespräch ist für den Herbst angedacht.

Mit einem kurzen Schreiben an Betroffene hat die bisherige Missbrauchsbeauftragte Ursula Raue nach sieben Jahren ihre Arbeit beendet.

Thema des Briefes ist vor allem die Frage, was mit den bei Ihr lagernden Unterlagen insbesondere Briefen von Betroffenen geschehen soll.
Alternativ schlägt sie die Übergabe an eine bzw. einen ihrer beiden Nachfolger vor oder die weitere Verwahrung bei ihr. Sie verweist dabei auf das Berufsrecht der Rechtsanwälte mit seinen Aufbewahrungsfristen für Mandantenunterlagen von 10 Jahren.

Hierbei wird ein generelles Problem bei dem Konstrukt „Missbrauchsbeauftragte/r“ erneut deutlich: Wer ist ihr Mandant? Die oder der Betroffene sexueller Gewalt in einer Einrichtung oder doch vielmehr die Einrichtung, die beauftragt und bezahlt? Wie der Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung in seinem Bilanzbericht forderte, muss die Frage des Umgangs mit den Briefen, Zeugnissen und Unterlagen von Betroffenen, die sich nach 2010 zu tausenden an die verschiedenen Anlaufstellen des Bundes und der Institutionen gewandt haben, endlich gesetzlich geregelt werden. Eine Regelung könnte in Anlehung an das Archivrecht des Bundes bzw. nach dem Vorbild des Umgangs mit den Stasiunterlagen erfolgen, wobei für die Übergabe etwa an das Bundesarchiv die EInwilligung der Betroffenen einzuholen wäre.

Die Schaffung einer klaren Lösung ist jedenfalls dringend notwendig, denn fünf Jahre sind seitdem bereits vergangen. Es drohen sonst wichtigen Belege für eine nachhaltige Aufarbeitung und Forschung zur sexuellen Gewalt in in der Zukunft verloren zu gehen.

Eine generelle Auseinandersetzung mit der Arbeit von U. Raue findet sich im Bonner Generalanzeiger

Der ECKIGE TISCH hatte 2010 und 2011 deutliche Kritik an Ihrer Arbeit geübt. Der Jesuitenorden hielt dessen ungeachtet an seiner Beauftragten fest.

Aufarbeitung, Hilfe, Genugtuung – auch vier Jahre nachdem wir begonnen haben, über den erlittenen sexuellen Missbrauch in unserer Kindheit zu sprechen, sind diese Forderungen aus dem Frühjahr 2010 noch aktuell. Der Reflex der Selbst- und Ruferhaltung der Kirche ist unverändert und blockiert eine wirksame, d.h. für alle (auch die Institution und die Gläubigen) hilfreiche Aufarbeitung.

Konkret fordern wir von den Bischöfen und Ordensoberen in Deutschland, endlich aktiv auf die Betroffenen sexuellen Missbrauchs  in ihrem Verantwortungsbereich zuzugehen und die Gesprächsblockade, die faktisch seit 2010 herrscht, zu beenden. Ängstliches Schweigen einerseits und Wut auf der anderen Seite bringen uns nicht weiter.

WEITERLESEN

  1. Es ist gut, dass es nun doch noch zu einer eigenen Initiative der Kath. Kirche zur Aufarbeitung der zahlreichen Missbrauchsfälle durch ihre Priester in den vergangenen Jahrzehnten kommt. Lieber spät als gar nicht. Über die zahlreichen inhaltlichen Fragen an das Vorhabens wird noch zu reden sein, etwa über den gewählten Ansatz, die Auswahl (nur 9 von 27 Bistümern) und die Aktenbasis der Untersuchung usw.
  2. Leider hat die Kirche auch diesmal die Chance verpasst, die Betroffenen in ihr Vorhaben einzubeziehen. In den ein Jahr lang dauernden Vorbereitungen dieses Projektes gab es nicht einmal einen Versuch, auf Betroffenenvertreter zuzugehen.
  3. Aufarbeitung beginnt immer mit den Opfern, die anfangen zu sprechen. Aktenbefunde sind dann im Nachgang hilfreich, um Hintergründe und Zusammenhänge aufzudecken.  Aufarbeitung bietet den Opfern, aber auch den Vertretern der Institution die Chance zur Verarbeitung des Geschehenen. Aufarbeitung kann der Institution dabei helfen, ihre spezifischen Risikofaktoren zu erkennen und diese durch konsequente Schutzkonzepte zu minimieren.
  4. Offenbar tun sich die Bischöfe schwer dabei, die Betroffenen, die häufig auch durch das Leitungsversagen ihrer Vorgänger zu Opfern wurden, als Subjekte im Aufarbeitungsprozess ernst zu nehmen. Aufarbeitung geht aber nur mit den Opfern, nicht für sie oder gar ohne sie.
  5. Auch deshalb bleibt die vielfach geforderte umfassende, systematische und unabhängige Aufarbeitung sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Familien, Heimen und Institutionen in Deutschland auch weiterhin eine wichtige Herausforderung, der sich die Gesellschaft durch die Einsetzung einer Unabhängigen Kommission durch das Parlament stellen sollte.

24. März 2014

Matthias Katsch, Sprecher ECKIGER TISCH

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Beitrag von Ebba Hagenberg-Miliu

Am Bonner Aloisiuskolleg mussten sich Schüler entblößen, ein Pater fotografierte sie. Die Bilder gelten nicht als pornografisch, doch sie schmerzen noch nach Jahrzehnten.

… weiterlesen in Christ & Welt vom 27.02.2014

unheiliger berg

Am 19. März wird das Buch „Unheiliger Berg – Das Bonner Aloisiuskolleg der Jesuiten und die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals“ erscheinen.

Dieses Buch ist ein Baustein für das Projekt einer ge­samtgesellschaftlichen Aufarbeitung der Gewalt gegen Kinder und des Missbrauchs von Kindern.  Matthias Katsch, ECKIGER TISCH

In diesen Tagen wird die Bundesrepublik von einem Skandal erschüttert, bei dem es um den Konsum von mutmaßlich kinderpornographischen Material durch einen prominenten Politiker geht, sowie die Art und Weise, wie die Ermittlungsbehörden und die Politik mit diesem Verdacht umgegangen sind und umgehen. Die vielen Hundert Kinder, die für die Erstellung dieses „Materials“ in ihrer Menschenwürde verletzt oder sexuell missbraucht wurden, spielen leider keine Rolle mehr.         weiterlesen

… was machen heute eigentlich die Täter von damals?

WOLFGANG STATT
(früher: „Pater Wolfgang Statt SJ“, auch bekannt als: „Padre Volfi“ oder „Joaquin Statt“)

WAS IM JANUAR 2010 BEKANNT WURDE
Wolfgang Statt hat seit den 1960er Jahren mehr als dreißig Jahre lang in Deutschland, Spanien und Chile nach eigenen Angaben „mehrere hundert“ Kinder und Jugendliche missbraucht.

Im Februar 2010 hatte sich Statt zunächst in der deutschen Presse mit Interviews  und Statements in eigener Sache zu Wort gemeldet und seinen Umzug nach Deutschland angekündigt. Am 9. Februar 2010 dementierte der Sprecher des deutschen Jesuitenordens in Chile (aber nicht in Deutschland) mit einer Pressemitteilung in spanischer Sprache, dass es in Deutschland Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen Statt gebe. Statt nahm dann von seiner geplanten Übersiedlung nach Deutschland Abstand und hat sich seitdem nicht mehr öffentlich geäußert.

Wolfgang Statt bezieht seit Februar 2010 eine Pension von seinem letzten Arbeitgeber, dem katholischen „Kolpingwerk Deutschland“ mit Sitz in Köln, in dessen Auftrag er als Lateinamerika-Beauftragter über viele Jahre den Kontinent bereiste. Das Kolpingwerk hat stets erklärt, von der die Vergangenheit des Ex-Paters nichts zu wissen, während der Jesuitenorden versicherte, man habe das Kolpingwerk informiert.

STAND JANUAR 2014
Wolfgang Statt nennt sich heute „Joaquin Statt“, er hat sich einen langen Bart wachsen lassen und lebt unbehelligt mit seiner Familie in der chilenischen Stadt Arica.

Fazit: Weder die katholische Kirche noch der Jesuitenorden haben Wolfgang Statt bis heute für seine Taten zur Verantwortung gezogen.

*****

PETER RIEDEL
(früher: „Pater Peter Riedel SJ“, „Pfarrer Peter Riedel“)

WAS IM JANUAR 2010 BEKANNT WURDE
Als Jesuitenpater hat Riedel über viele Jahre hinweg Kinder und Jugendliche missbraucht. Wie viele Betroffene es gibt, wissen wir nicht. Der Orden hat seit dreieinhalb Jahren keine aktuellen Zahlen mehr vorgelegt, wie viele Betroffene sich gemeldet haben. Die Missbrauchsbeauftragte des Ordens Ursula Raue hatte im Mai 2010 von 41 Betroffenen des Missbrauchs durch Riedel (Pseudonym: „Pater Anton“) berichtet. Tatsächlich ist von mindestens 100 Betroffenen auszugehen, wie auch Pater Klaus Mertes zuletzt im Dezember 2013 in einem Interview mit dem NDR erklärte.

Riedel missbrauchte zunächst etwa zehn Jahre lang als Leiter der Jugendarbeit am Berliner Canisius-Kolleg Dutzende von Jungen. Nachdem Jugendliche 1982 in einem Brief an den Orden auf ihre Not aufmerksam gemacht hatten, wurde Riedel stillschweigend nach Göttingen versetzt. Dort arbeitete Riedel wieder mit Jugendlichen. Nach erneuten Missbrauchsvorwürfen auch dort verließ er den Jesuitenorden und betreute dann als Pfarrer nacheinander Gemeinden in Hildesheim, Wolfsburg und Hannover. Nachdem es auch an diesen Orten zu Missbrauchsfällen gekommen war, wurde er schließlich 2003 vorzeitig, aber in Ehren pensioniert. Riedel lebt seitdem in Berlin in einer Wohnung im bürgerlichen Stadtteil Lichterfelde. Über Riedel gibt es außerdem Hinweise auf den sexuellen Missbrauch von Frauen in Mexiko und in Südamerika, wo er auch nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle zeitweilig untertauchte.

STAND JANUAR 2014
Im Januar 2014 wurde durch Recherche einer engagierten Journalistin bekannt, dass ein geheimes „Kirchengericht“ bereits Ende 2013 Peter Riedel „bestraft“ hat: Er darf das Priesteramt nicht mehr ausüben und muss 4.000 Euro Geldstrafe bezahlen. Verhandelt wurde lediglich ein einziger Fall des Missbrauchs (an einem Mädchen) aus seiner Zeit als Gemeindepfarrer im Bistum Hildesheim. Riedels zahlreichen Missbrauchstaten am Canisius-Kolleg waren nicht Gegenstand des Verfahrens. Das „Urteil“ wurde vom Bistum bislang nicht veröffentlicht. Die Betroffenen des Missbrauchs von Peter Riedel wurden über das Verfahren sowie über das Ergebnis nicht informiert.

Fazit: Mit diesem Urteilsspruch zu einem Einzelfall ist für die katholische Kirche die Aufarbeitung der Missbrauchstaten von Peter Riedel offenbar abgeschlossen.

*****

Das ist der Stand der Dinge vier Jahre nach der Bekanntmachung der Missbrauchsfälle durch Betroffene: Den Tätern geht es gut. Die Kirche fühlt sich als Vorreiter bei der Aufklärung sexuellen Missbrauchs. Und die Opfer können sehen, wo sie bleiben.

Gegen Peter Riedel, den ehemaligen Jesuiten und Leiter der Jugend­arbeit am Canisius-Kolleg von 1971 bis 1982 wurde nach Presseberichten durch das sog. „Kirchengericht“ des Erzbistums Berlin ein Urteil gefällt – aber nicht wegen des vielfachen Missbrauch von Jungen in dieser Zeit – Schätzungen gehen von über 100 Fällen aus, gemeldet haben sich ab 2010 etwa 60 Betroffene – sondern wegen eines einzelnen Falles aus seiner Zeit als Gemeindepfarrer im Bistum Hildesheim. Dorthin wurde Riedel 1982 „entsorgt“, nachdem Jugend­liche in einem Brief an den Orden auf ihre Not aufmerksam gemacht hatten.

Im Bistum Hildesheim betreute Riedel nacheinander Gemeinden in Göttingen, Hildesheim und Hannover. Nach erneuten Missbrauchs­vorwürfen auch dort verließ er den Jesitenorden und wurde schließlich 2004 in Ehren pensioniert.

Dieses Urteil und der Umgang der Kirche mit ihrem Priester ist beschämend und empörend. Natürlich ist es gut, dass es überhaupt ein Urteil gibt, da Riedel seine Taten stets geleugnet hat. Die Taten am Canisius-Kolleg wurden jedoch gar nicht berücksichtigt. Die Opfer von Peter Riedel wurden nicht von dem Verfahren informiert und ihnen keine Gelegenheit gegeben, mitzuwirken und angehört zu werden.

Eine lächerliche Strafe –
Wir fordern Null-Toleranz bei Missbrauchspriestern!

Das Urteil empfinden wir als sehr milde. Der Ausschluss vom Priester­dienst ist keine Strafe, sondern eine Selbstverständlichkeit. Wir fordern von der Kirche in Deutschland endlich die Umsetzung der sogar vom Papst empfohlenen Null-Toleranz-Praxis für Priester, denen sexueller Missbrauch nachgewiesen wird, und das sofortige Ende ihrer priesterlichen Tätigkeit ab dem ersten Fall. Vorreiter sind hier die Bistümer in den Vereinigten Staaten.

Die Geldstrafe von 4000 Euro für einen einzelnen Fall ist in der Höhe möglicher­weise auch vor weltlichen Gerichten leider ein üblicher niedriger Satz. Finanziell tut ihm das sicher nicht weh. Denn als Gemeindepfarrer dürfte er eine sehr hohe Pension erhalten. Wirklich beurteilen können wir dies jedoch nicht, weil weder das Urteil noch der Fall, über den geurteilt wurde, bekannt sind.

Unangemessene Heimlichkeit – Wir fordern Transparenz!

Wir kritisieren die Heimlichkeit und Intransparenz, mit der dieses Verfahren geführt wurde. Unter dem Deckmantel des Opferschutzes wurde ermittelt und geurteilt – von wem auch immer. Wir fordern von der Kirche, dass sie selbst das Verfahren erklärt und das Urteil selbst öffentlich macht. Wir bitten Presse und Öffent­lichkeit, darauf zu drängen, dass diese unwürdige Praxis von Geheimprozessen einem nachvollziehbaren Verfahren Platz macht.

Leider müssen wir auch im Jahr vier bitten und fordern. Wann geht die Kirche endlich einmal pro-aktiv auf die Menschen zu? Wann werden die Akten der Kirche endlich für unabhängige Untersuchungen geöffnet? Wir fordern nicht nur in Deutschland sondern auch in Rom ein Umdenken. Auch dort lagern viele Akten über Missbrauchsfälle in Deutschland. Auch diese müssen zugänglich gemacht werden.

Matthias Katsch

Sprecher Eckiger Tisch

16. Januar 2014

 

Weitere Informationen:

SPIEGEL ONLINE: „Das ist beschämend“

Deutschlandradio Kultur:
„Für den Täter ist das keine wirkliche Strafe“

SPIEGEL ONLINE: Kirchengericht verurteilt Jesuitenpater

Deutschlandradio: Kirchengericht verurteilt Jesuitenpater