UAMKK

Pressemitteilung

1. Zwei Jahre nach den ersten Veröffentlichungen liegen noch immer keinerlei detaillierte Zahlen und Informationen über das Ausmaß der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche in Deutschland vor.

Dass es auch anders geht, hat das Vorgehen in den Niederlanden gezeigt. Hier wurde im Dezember 2011 das Ergebnis der so genannten Deetman-Komission veröffentlicht. Diese unabhängige Untersuchung kam zum Ergebnis, dass etwa 10.000 bis 20.000 Menschen zwischen 1945 und 1981 in den Niederlanden von Missbrauch in katholischen Institutionen betroffen waren. 800 Täter sind dort bisher identifiziert worden.

Diese Untersuchung im kleinen Nachbarland hat das erschreckende Ausmaß institutionellen Versagens beim sexuellen Missbrauch im Bereich der katholischen Kirche konkret deutlich gemacht. In der Konsequenz wurden Entschädigungssummen zwischen 25.000 und 100.000 Euro empfohlen.

2. Die Betroffenen der katholischen Kirche werden von Politik und Gesellschaft allein gelassen mit „ihrer“ Täter-Institution.

Das Vorgehen in den Niederlanden führt gleichzeitig vor Augen, in welcher fachlich und menschlich absolut inakzeptablen Situation sich die Missbrauchsbetroffenen aus katholischen Institutionen in Deutschland befinden: Da es keine unabhängige Anlaufstelle gibt, müssen sie sich an die Institution selbst – also die katholische Kirche – wenden, um Ihre Anliegen zu formulieren. Es handelt sich hierbei um dieselbe Institution, die bis zum Januar 2010 vorsätzlich jegliche Thematisierung, Aufdeckung, Aufarbeitung oder gar Hilfen für die Betroffenen verhindert hat.

3. Daher fordert ECKIGER TISCH die zeitnahe Einrichtung einer „Unabhängigen Untersuchungs- und Anlaufstelle für die Betroffenen sexuellen Missbrauchs in der Katholischen Kirche (UAMKK)“.

Die Betroffenen sollen hier erstmals Gelegenheit haben, konkrete Angaben zu ihrem Missbrauch zu machen. Diese biografischen Einzelschicksale sollen wissenschaftlich ausgewertet werden. Die konkreten Angaben der Betroffenen – auch Angaben zu den Tätern – sollen systematisch gesammelt und ausgewertet werden. In einer Dunkelfeldstudie soll untersucht werden, welches zahlenmäßige Ausmaß die Missbrauchsfälle in Deutschland hatten. Ein detailliertes Konzept für diese Anlaufstelle ist in Arbeit (siehe Grafik). Dass es bei dieser notwendigen Aufarbeitung nicht nur um die ferne Vergangenheit geht, zeigen beispielhaft die aktuellen Vorgänge um das Bonner Aloisiuskolleg der Jesuiten, die bis heute für Schlagzeilen sorgen.

4. Die im vergangenen Jahr von der katholischen Kirche einseitig festgelegte Anerkennungsprämie für die Missbrauchstaten ihrer Priester von „bis zu 5.000 Euro“ ersetzt keine echte Entschädigung, die auf der Grundlage der unabhängigen Untersuchung festgelegt werden sollte.

Auf Grundlage der unabhängigen Untersuchungsergebnisse muss über eine angemessene Entschädigung für den zugefügten Schaden gesprochen werden. Ein solches Vorgehen entspräche dem vom Runden Tisch Kindesmissbrauch in seinem Abschlussbericht empfohlenen Verfahren – im Unterschied zur einseitigen und willkürlichen Festsetzung eines Betrags durch die betroffene Institution.

Viele der Betroffenen haben wohl auch deshalb darauf verzichtet, sich bisher dem würdelosen und traumatisierenden Antragsverfahren der katholischen Kirche in Deutschland zur Erlangung der „Missbrauchsprämie“ auszusetzen.

5. Die Betroffenen des ECKIGEN TISCHES wiederholen ihren Vorschlag der Einrichtung einer Art „Opfergenesungswerk“ für Betroffene sexuellen Missbrauchs. Denn bis heute gibt es – mit Ausnahme des öffentlichen Gesundheitssystems – keine spezifischen Hilfsangebote für die Betroffenen. Für weitere Hilfen müssen die Betroffenen wiederum mit der Institution in Kontakt zu treten, die zuvor an ihnen „das zweite Verbrechen“ des Vertuschens und Verheimlichens verübt hat.

In Ergänzung zur Arbeit der zu schaffenden „Unabhängigen Untersuchungs- und Anlaufstelle Missbrauch in der Katholischen Kirche (UAMKK)“ soll dieses Opfergenesungswerk gerade den langjährigen Betroffenen von sexueller Gewalt Unterstützung bei der Bewältigung des Traumas bieten, Hilfen vermitteln sowie in Ergänzung der etablierten Hilfesysteme Coaching und Begleitung bei der Lebensbewältigung anbieten.

Das Opfergenesungswerk sollte co-finanziert werden von den Institutionen, in denen Kinder nicht ausreichend geschützt waren und Täter zu lange gedeckt wurden. Eine Zusammenarbeit mit anerkannten Fachstellen und Experten für die Folgen von sexuellem Missbrauch an Kindern soll eine hohe fachliche Qualität sicherstellen.

6. Wie es uns heute geht

Die Missbrauchsbetroffenen der katholischen Kirche haben vor zwei Jahren die intensive Debatte zum Missbrauch in Institutionen und darüber hinaus in Gang gesetzt. Im Zuge dieser breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung wurden die Opfer von Missbrauch im familiären Bereich endlich angemessener wahrgenommen. Wir sind sehr froh, dazu beigetragen zu haben. Seitdem ist viel über Prävention und für die Zukunft debattiert und beschlossen worden.

Doch die Anliegen der vielen tausenden Betroffenen im Bereich der katholischen Kirche, deren mutiges Durchbrechen des von der Kirche jahrzehntelang beförderten Schweigens der Auslöser für diese Debatte war, sind dabei in den Hintergrund gerückt. Stattdessen prägen die Interpretationen der Vertreter der Täterorganisation zunehmend die öffentliche Debatte und Wahrnehmung.

Diese Erfahrung droht viele der Betroffenen erneut zu traumatisieren und endgültig zum Schweigen zu bringen. Viele von ihnen haben sich bereits resigniert zurückgezogen. Andere fragen sich, ob der Preis für die Wahrheit über die Vergangenheit, die sie in Form einer Erschöpfungsdepression und anderer posttraumatischer Belastungssymptome heute bezahlen, am Ende nicht zu hoch war.

Rückzug und Schweigen – das darf nicht am Ende dieses anstrengenden Prozesses für die Betroffenen stehen. Deshalb arbeitet der ECKIGE TISCH – inzwischen als eingetragener Verein – weiter für eine angemessene Aufarbeitung des Skandals des Missbrauchs in der katholischen Kirche.

Matthias Katsch

Sprecher / ECKIGER TISCH

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