Antwort eines Geschädigten auf W. Statts Entschuldigungsschreiben

Wolfgang Statt hatte im Januar an alle Personen, die er als Kinder und Jugendliche missbraucht hat, ein Entschuldigungsschreiben verfasst. Hier antwortet ein Geschädigter.

Guten Tag Herr Statt,

mir wurde seitens meiner Anwältin Ihr Schreiben vom 20.Januar 2010 übermittelt, in dem Sie Stellung nehmen zu Ihrem verbrecherischen Umgang mit Ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen im Laufe Ihrer Lehrerjahre am Berliner Canisius-Kolleg.

Ich war eines dieser Kinder. Seitdem ich Ihr Schreiben erhalten habe, habe ich in keiner Nacht mehr als drei Stunden geschlafen. Unzählige Male bin ich Ihr Schreiben Schritt für Schritt durchgegangen.

1) Sie nehmen Stellung, weil Sie nach Ihren eigenen Worten von verschiedenen Seiten auf die o.g. traurigen Tatsachen angesprochen wurden.

2) Sie sprechen Ihre Rolle als Priester und Ordensmann an, die Ihnen den Vertrauensvorschuss, ohne den Sie wohl kaum den Zugang zu mir und Ihren anderen Opfern erhalten hätten, maßgeblich gesichert hat. Außerdem von Demütigungen, Entwürdigungen und Quälungen.

3) Sie mutmaßen, dass es mir und den anderen Betroffenen wenig helfen würde, wenn Sie uns von Ihren vielen Versuchen berichten, dem Teufelskreis zu entkommen und vom Unmensch wieder zum Menschen zu werden.

4) Um Missverständnisse zu vermeiden, unterstreichen Sie die Unentschuldbarkeit Ihrer Missbräuche und Misshandlungen und verwehren sich ausdrücklich gegen „mildernde Umstände“.

5) Die Bosheiten, die Sie uns angetan haben, tun Ihnen Leid, und sie bitten uns, geknüpft an eine Bedingung („…falls du fähig bist, mir diese Schuld zu vergeben…“), tatsächlich um Vergebung Ihrer Schuld.

Hier nun meine Rückmeldung, über die Sie sich zu freuen vorgeben: Danke für Ihr Schreiben, das den Eindruck von nichts beschönigender Ehrlichkeit erweckt.

Gerne möchte ich Ihnen im Folgenden allerdings erklären, warum ich es ehrlich gesagt lieber nicht erhalten hätte.

Zu 1) Ein persönliches Interesse Ihrerseits an meinem und dem Schicksal meiner Leidensgenossen kann ich weder erkennen, geschweige denn in irgendeiner Form empfinden.

Zu 2) Völlig unerwähnt bleibt leider auch Ihre Vorstellung von der Verantwortung des Ordens, dem Sie damals angehörten, und seitens der Kirche (der Sie nach wie vor angehören?) und von deren moralischer Verpflichtung einer Wiedergutmachung.

Zu 3) Sie haben Recht. Aber warum tun Sie es dann? Warum berichten Sie mir vom damaligen deutschen Provinzialoberen, von vatikanischen Behörden, vom Ekel und Entsetzen Ihrer Freundin und von den („meisten“!) Sorgen, die Sie sich über Ihre 12jährige Tochter machen?

Wozu berichten Sie – ohne Angabe von konkreten Jahreszahlen oder sonstigen beweiskräftigen Fakten – von Jahrzehnte langer guter Erfahrung mit Ihnen selbst im Umgang mit Kindern und Jugendlichen und von Kontakten mit einer Reihe von Ihren früheren Opfern (auch aus dem Baskenland oder Chile?), mit denen Sie sich ausgesprochen haben wollen?

Zu 4) Ihrem Wunsch möchte ich hiermit entsprechen: Ich gestehe Ihnen keinerlei mildernde Umstände zu. Im Gegenteil, Ihr Brief, der in meiner Wahrnehmung von der gleichen manipulativen Energie durchdrungen ist, mit der Sie schon damals jedes zwischenmenschliche Verhältnis zu bestimmen versuchten, provoziert heute in mir dieselbe instinktive Abscheu.

Zu 5) Falls Sie die weiter oben als Demütigungen, Entwürdigungen, Quälungen, Missbräuche und Misshandlungen und Ihre in anderen Medien von Ihnen selbst als Ergebnis einer narzisstischen Störung begangenen sadistischen Bestrafungsrituale (keine Genitalberührungen, Penetration, Vergewaltigung, Exhibitionismus oder Voyeurismus!) nicht weiterhin unter der meines Empfindens nach verharmlosenden Bezeichnung „Bosheit“ zusammenfassen und darüber hinaus den Mut haben, mich „Auge in Auge“ bedingungslos um Verzeihung zu bitten, antworte ich Ihnen – wissend, dass Verzeihen keine Geste, sondern das Ergebnis eines unter Umständen langwierigen Prozesses darstellt: Ich habe, um es einmal sportlich auszudrücken, den Startschuss gehört!

Das Ziel ist klar. Aber auch – wie ich von Ihnen ja exzellent auf Cross-Rennen vorbereitet wurde (vielleicht können Sie sich an meinen/unseren Sieg in „Leiza“ erinnern) – dass an den widrigen Steigungen kleine Schritte oftmals schneller und eben auch erfolgreich zum Ziel führen!

Dort auf Augenhöhe angekommen, erscheint es mir nicht undenkbar, dass wir uns wieder gegenseitig das „Du“ anbieten…

Bis dahin verbleibe ich

MGBubel@gmx.de

PS: Falls Sie sich fragen – weil Sie etwa im Sinne von Wiedergutmachung für mich und die anderen Betroffenen öffentlich Position ergreifen wollen – welche Form der materiellen Entschädigung seitens der Jahrzehnte lang vertuschenden „Täterinstitution“ Jesuitenorden bzw. Katholische Kirche ich heute als Genugtuung für den empfundenen Schmerz, den wahrscheinlich längst sublimierten Ekel und den frühen Blick in menschliche Abgründe empfände, so entgegne ich nach mittlerweile 21 fast schlaflosen Nächten: Ein neues Hinterteil, eine berufliche Umschulung und eine finanzielle Genugtuung für alle Opfer des institutionell geförderten Missbrauchs.

12.März 2010
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