Agenda für einen neuen Papst: Aufarbeitung, Hilfe und Entschädigung für die Kirchenopfer

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Für einen glaubwürdigen Neuanfang und eine wirksame Prävention von sexuellem Missbrauch sind  eine breite Diskussion der Ursachen und eine Erneuerung der Hierarchie der Katholischen Kirche notwendig, die an der Verheimlichung und Vertuschung mitgewirkt hat.  Dazu gehört unbedingt eine Öffnung der Akten des Vatikans zu sexuellem Missbrauch für unabhängige Untersuchungen.

In Rom trifft sich dieser Tage ein Kreis von 115 Männern, um den neuen Bischof von Rom zu bestimmen, der für die katholische Weltkirche mit ihren über 1,2 Milliarden Mitgliedern, 400.000 Priestern  und fast  5000 Bischöfen den Petrusdienst erfüllen soll und der dabei den Anspruch erhebt, in der Weltgemeinschaft ein Brückenbauer zu sein.

Angesichts der zahllosen Missbrauchsfälle durch Angehörige des Klerus, die in den letzten Jahrzehnten durch die Kirchenhierarchie weltweit vertuscht wurden, stellt sich die Frage nach der Legitimität dieser Kardinalsversammlung: Wer so eklatant in seinem Leitungsamt versagt hat, sollte nicht weiterhin Leitungsverantwortung ausüben.

Kein Kardinal, der an der Vertuschung von Missbrauch Anteil hatte, erscheint daher legitimiert, das oberste Leitungsamt der Kirche zu übernehmen. Damit scheidet ein großer Teil der jetzigen Konklave-Teilnehmer als Papst-Nachfolger aus. Dies gilt insbesondere auch für die Vertreter der Kirchenzentrale (Kurie) in Rom. Wir schließen uns dabei der Argumentation des amerikanischen Netzwerkes der von Missbrauch Betroffenen SNAP an.

Die Missbrauchskrise ist kein Betriebsunfall, sondern verweist auf Kernprobleme der Katholischen Kirche: Missbrauch der menschlichen Sexualität als Herrschaftsmittel  und Missbrauch von Macht, der durch ungenügende Kontrolle ermöglicht wurde und  als Symptom auch in dem skandalösen Umgang mit Reichtum und Geld der Kirche deutlich wird.

Die bisherige Kirchenleitung hat sich unfähig gezeigt, im Wege der Selbstreinigung die notwendigen Schritte zu gehen. Alle heutigen Kardinäle sind unter der Ära des zurückgetretenen Papstes Benedikt bzw. in seiner Zeit als Leiter der Glaubenskongregation ernannt worden, und nur aus diesem Kreis kann sein Nachfolger kommen.

Eine Revolution von Oben ist so praktisch ausgeschlossen. Das Konklave wird nur nach dem perfekten Ratzinger-Klon suchen. Deshalb unterstützen wir den Appell von kritischen Kirchenmitgliedern: Stoppt die Papstwahl!

Stattdessen sollte eine allgemeine Versammlung der Bischöfe aus aller Welt nach neuen Antworten suchen. Dazu gehört die Diskussion über bislang verbotene Themen wie den Zwangszölibat, die unmenschliche Lehre von der Sexualität als reiner Fortpflanzungsaktivität, die unangemessene Rolle der Frauen in der Kirche und die Frage nach einer Demokratisierung ihrer Leitungsstrukturen.  Diese ungelösten Strukturfragen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass so viele Angehörige des männlichen Klerus in aller Welt über so lange Zeit Kinder und Jugendliche missbrauchen konnten und dabei von ihren Vorgesetzten gedeckt wurden.

Wahrscheinlich ist ein solches Szenario (noch) nicht. Doch egal wie die Verantwortlichen in Rom sich in den kommenden Tagen und Wochen entscheiden: Wir appellieren an die Bischöfe in aller Welt und auch an den künftigen Bischof von Rom, die berechtigten Forderungen der abertausenden von Kirchenopfern in zahlreichen Ländern nach rückhaltloser Aufklärung und Aufarbeitung, nach umfassender Hilfe und großzügiger Entschädigung aufzunehmen.

Für eine Aufarbeitung der Missbrauchskrise ist die Öffnung der Kirchenakten für unabhängige Untersuchungen notwendig –  angefangen beim Vatikan. Dorthin sind über Jahrzehnte die Akten von schweren Fällen von sexuellem Missbrauch aus aller Welt gewandert. Dort lagern die Personalakten von tausenden Priestern, die von ihrem Amt entbunden wurden – auch von Missbrauchstätern. Nur dort kann man daher ein umfassendes Bild über die sog. Missbrauchskrise und ihre Hintergründe gewinnen.

Diese Feststellungen und Forderungen mögen manchem angesichts der Geschichte und Bedeutung der Katholischen Kirche unangemessen oder gar anmaßend klingen: doch sie spiegeln das Empfinden vieler Betroffener sexueller Gewalt wieder, die durch Vertreter dieser Kirche zu Opfern wurden und unter den Folgen zu leiden hatten oder immer noch leiden – sofern sie überhaupt noch an den Vorgängen in dieser Kirche interessiert sind.

Matthias Katsch

Sprecher ECKIGER TISCH

Berlin, 8. März 2013

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