Acht Jahre nach dem „Missbrauchsskandal“: ECKIGER TISCH beim internationalen Treffen von Betroffenenvertretern in Chile

Anlässlich des Papstbesuchs in Chile und Peru haben sich in Santiago de Chile zahlreiche Vertreter von Initiativen Betroffener sexuellen Kindesmissbrauchs in der Kirche versammelt, um sich auszutauschen. Ziel dieser Zusammenkunft wird es sein, die katholische Kirche auf globaler Ebene zu einer Auseinandersetzung mit ihrer systemischen Verantwortung für die zahllosen Fälle von sexueller Gewalt durch Priester gegen Kinder und Jugendliche zu zwingen. Eine wichtige Rolle spielt die Frage, wie die bisherige informelle Zusammenarbeit der Gruppen aus aller Welt, die sich in den letzten Jahren bei einer Reihe von Zusammenkünften entwickelt hat, in Zukunft auf eine organisierte Basis gestellt werden kann.

Es werden VertreterInnen u.a. aus Chile, Peru, Argentinien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den USA, Jamaika erwartet. Unterstützung erhalten die Betroffenen durch eine Reihe von Gästen, die den Kampf der Opfer / Überlebenden unterstützen.

Dazu gehören aus Ecuador die ehemalige Vize-Vorsitzende des UN-Kinderrechtskomitees Sara Oviedo und aus Mexiko Alberto Athie, der wesentlich an der Aufdeckung des Missbrauchsskandals um den Gründer der Legionäre Christi in seinem Heimatland mitgewirkt hat.

ECKIGER TISCH bringt zu diesen Beratungen drei Forderungen mit:

Sollte die Kirche nicht zu einer umfassenden Auseinandersetzung mit ihrer dunklen Vergangenheit bereit sein, streben die Betroffeneninitiativen die Abhaltung eines globalen Tribunals an, um die Kirche zur Rechenschaft zu ziehen.

Aus Deutschland nimmt Matthias Katsch an den Beratungen in Santiago de Chile teil. Er ist Gründer und Vorsitzender der Initiative ECKIGER TISCH, Mitglied im Betroffenenrat beim UBSKM und ständiger Gast der deutschen Unabhängigen Aufarbeitungskommission

Die Situation in Deutschland

Vor acht Jahren haben wir vom Jesuitenorden und der katholischen Kirche in Deutschland Aufklärung, Hilfe und Entschädigung gefordert − und das tun wir noch immer. Manches hat sich in dieser Zeit verändert und verbessert. Bei anderen Themen stehen wir immer noch am Anfang.

Es ist leichter geworden, als Betroffener sexueller Gewalt in der Kindheit öffentlich zu sprechen. Die Expertise, die gerade Betroffene zur Verfügung stellen können, um den Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch als sozialem Massenphänomen zu gewinnen, wird immer öfter auch genutzt.

Es ist gelungen in Deutschland eine beispielhafte Triade aus Unabhängigem Beauftragten (UBSKM), Betroffenenrat und Unabhängiger Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs zu etablieren, die das Thema stetig vortreibt und verhindert, dass die Gesellschaft − wie in der Vergangenheit geschehen − nach dem Skandal zur Tagesordnung übergeht. Ein Beirat aus engagierten ExpertInnen und WissenschaftlerInnen unterstützt die Arbeit des Beauftragten. Endlich gibt es auch eine Bundeskoordinierungsstelle für die spezialisierten Fachberatungsstellen.

Auch die katholische Kirche hat gerade hierzulande Anstrengungen unternommen, um wirksame Kinderschutzverfahren einzuführen und insbesondere ihre zahlreichen Mitarbeitenden zu schulen. Das ist gut und notwendig und manchmal auch vorbildhaft, wenn man etwa das lange Zögern im Bereich des organisierten Sports vergleicht, das Thema als ureigene Aufgabe anzunehmen.

Noch nie war so viel die Rede von Prävention. Doch bis heute gibt es in Deutschland keine ehrliche und offene Aufarbeitung der Vergangenheit durch die Institution selbst. Es gibt vereinzelt gute Aufarbeitungsprojekte für einzelne Einrichtungen, wie das Kloster Ettal oder die Regensburger Domspatzen, Projekte, für die sich Betroffene stark gemacht haben und geduldig eingesetzt haben. Irgendwann Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres wird auch eine Studie vorliegen, die uns für die 27 deutschen Bistümer wenigstens ein Grundzahlengerüst vermitteln soll. Die 400 Ordensgemeinschaften, die zahlreiche Heime, Internate und Schulen sowie Jugendarbeit in Deutschland betreiben oder betrieben haben, wurden in der Studie leider nicht berücksichtigt.

Viele in der Kirche scheinen der Meinung zu sein, die Krise sei vorbei, die schlimmsten Nachrichten bereits verkündet, nun gehe es nur noch um das Alltagsgeschäft und um punktuelle Veränderungen wie mehr Schulungen.

Bis heute hat es keine grundsätzliche Diskussion über die strukturellen Ursachen des verbreiteten Phänomens des sexuellen Missbrauchs durch Priester gegeben (Studien in den USA und Australien weisen aus: 4 bis 7 Prozent aller Priester missbrauchen mindestens ein Kind, teilweise sind es aber durch die besonderen institutionellen Umstände dutzende Opfer, die ein einzelner Täter hinterlässt). Die sollte eine Anfrage an das Selbstverständnis einer Organisation deren Gründerfigur die Sätze zugeschrieben werden: Lasset die Kinder zu mir!

Bis heute gibt es keine Untersuchung auf lokaler, regionaler oder globaler Ebene über Missbrauchsfälle und den Umgang damit. Es gibt bis heute keine Aktenfreigabe der zahllosen Berichte über sexuellen Kindesmissbrauch die über die Jahrzehnte in der Zentrale der Kirche in Rom eingetroffen sind. Nicht einmal Akteneinsicht ist möglich.

Immer noch herrscht die Auffassung vor, dass sexuellen Missbrauch durch Priester ein Einzelfallphänomen, das Problem einiger weniger, schlecht ausgewählter oder schlecht ausgebildeter schwarze Schafe, die man nur entfernen muss. Das strukturelle Versagen, die Verantwortung der Gesamtorganisation, insbesondere an der Spitze wird nicht gesehen, ja ausdrücklich geleugnet.

Das muss sich ändern. Der Umgang der Kirche mit ihrem Versagen im Umgang mit den Taten von Geistlichen gehört ins Zentrum der Agenda.

Dazu wäre endlich ein Austausch mit Betroffenen notwendig, gerade auch mit denen, die sich organisiert haben, um ihre Forderungen zu vertreten. Dies würde den Bemühungen um einen besseren Schutz der Kinder heute mehr Glaubwürdigkeit und auch mehr Wirksamkeit verschaffen.

 

Matthias Katsch / ECKIGER TISCH e.V.

z.Zt. Santiago de Chile

  1. Januar 2018