… 1981, 1989, 1993, 1997, 2003, 2006, 2010 …

So viele Gelegenheiten zum Handeln.

So viele unnötige Opfer.

Es wird Zeit, dass jemand in der Katholischen Kirche Verantwortung übernimmt.

Deshalb fordert ECKIGER TISCH den Bischof von Hildesheim zum Rücktritt auf.

Denn der Bischof und seine engsten Mitarbeiter haben 2010, während der großen bundesweiten Missbrauchsdebatte, die durch unsere Meldungen über den hundertfachen sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen am Berliner Canisius-Kolleg ausgelöst worden war, in einem nicht verjährten Fall sexueller Gewalt eigene, geheime Ermittlungen durchgeführt, statt den Fall unverzüglich der Staatsanwaltschaft zu melden. Der Beschuldigte war in Berlin wie in Hildesheim derselbe: der Ex-Jesuit, Pfarrer i.R. Peter Riedel. Dies wird in der ARD/WDR Reportage „Richter Gottes – Die geheimen Prozesse der Kirche“ aufgedeckt. (Link zum Beitrag in der ARD-Mediathek)

Das minderjährige Opfer wurde am 4. März 2010 ohne Wissen der Erziehungsberechtigten im Bischöflichen Ordinariat vernommen, ein Protokoll gefertigt und das Kind danach sich selbst überlassen. Dann geschah zehn Monate nichts. Erst auf Drängen der Angehörigen wurde der Fall der drei Tage vor Weihnachten 2010 der Staatsanwaltschaft gemeldet.

Dies geschah jedoch offenbar in einer Weise, dass der Fall als minderschwer und der Täter als Ersttäter angesehen werden konnte. Die Staatsanwaltschaft Berlin stellte im Frühjahr 2011 schließlich aus fehlendem öffentlichen Interesse das Verfahren ohne öffentlichen Prozess gegen Zahlung einer Geldauflage ein. Peter Riedel war wieder einmal davongekommen.

Soweit. So schlimm.

Die endlose Geschichte: Kleine Chronologie des Täterschutz-Programms im Falle „Peter R.“

Der Bischof von Hildesheim wie sein Vorgänger und zuvor die Vorgesetzten im Jesuitenorden haben über mehr als vier Jahrzehnte hinweg, die sexuellen Übergriffe ihres Mitarbeiters Peter Riedel geduldet, gedeckt, verheimlicht, vertuscht. Der heute 74jährige wurde immer und immer wieder versetzt – jedes Mal, wenn seine Übergriffe öffentlich bekannt zu werden drohten.

Gelegenheiten zum Handeln gab es genug.

1981 meldete sich eine Gruppe von Schülern des Berliner Canisius-Kolleg in einem Brief zu Wort und deuteten darin an, dass Riedel im Rahmen der Jugendarbeit unangemessen mit Sexualität umging. Gemeint war: Mit der Sexualität der Kinder und Jugendlichen. Im persönlichen Gespräch mit dem damaligen Rektor des Canisius-Kollegs gingen die Jugendlichen weiter und berichteten konkret von den sexuellen Übergriffen des Paters: anfassen, auf dem Schoß sitzen, nackt ausziehen, in seiner Gegenwart masturbieren, von ihm angefasst werden. Und ständig wurden Fotos gemacht.

Pater P. Riedel R. SJ wurde überstürzt in eine vom Jesuiten-Orden betreute Gemeinde nach Göttingen versetzt. Die bis dahin beste Gelegenheit, den Triebtäter zu stoppen, wurde verpasst.

Wie wir heute wissen, hatte er da in den zehn Jahren seines Wirkens als Jugendseelsorger und Religionslehrer am Berliner Canisius-Kolleg mindestens 100 Kinder und Jugendliche, überwiegend Jungen, sexuell missbraucht. Mehrfach waren Eltern, denen von ihren Kindern von den Übergriffen andeutungsweise berichtet worden war, bei den Vorgesetzten von Riedel gewesen und hatten sich abwimmeln und beruhigen lassen. Schüler, die sich dem übergriffigen Pater widersetzen, wurden der Schule verwiesen und um ihre Bildungschancen gebracht.

Ab Sommer 1983 war Peter R. in Göttingen an der Jesuiten-Pfarrei tätig. 1988/89 verbrachte er in Mexico in einer Einrichtung seines Ordens, den er nach seiner Rückkehr offenbar im Streit verließ. Danach wurde er als Pfarrer in Hildesheim tätig. Von dort ging es 1997 nach Hannover. Schließlich wurde er 2003 in den vorgezogenen Ruhestand versetzt, aus gesundheitlichen Gründen, wie es hieß.

Mit allen diesen Ortswechseln gingen, soweit wir heute wissen, Beschwerden über übergriffiges Verhalten, oder konkrete Meldungen über sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche einher. Es gab zaghafte interne Versuche, ihn zu stoppen, wie sie der ehemalige Jesuiten-Provinzial Alfred Höfer in seiner Stellungnahme beschreibt. Auch seine Pensionierung erfolgte nicht freiwillig, wie ein Nachfolger in der Hildesheimer Gemeinde in einem Gespräch mit dem SPIEGEL deutlich machte. Die Strafverfolgungsbehörden wurden nie eingeschaltet.

Schon während seiner Zeit in Hildesheim unternahm Riedel. Reisen nach Südamerika, bevorzugt nach Peru und Bolivien, wo er Kontakte zu örtlichen kirchlichen Projekten knüpfte und als Priester „Padre Pedro“ zum Beispiel Bildungseinrichtungen für Mädchen aus abgelegenen Dörfern oder Waisenhäuser besuchte. Dann begann er, junge Mädchen und Frauen von dort auf Zeit zu sich nach Deutschland zu holen. Er scheint dies bis heute zu tun.

Auch nach seiner Pensionierung 2003 unterhielt Riedel in Hildesheim private Kontakte. So wurde ihm 2006 ein 11jähriges Mädchen anvertraut, dass er nach Berlin in seine kleine Wohnung mitnahm, um ihr sexuelle Gewalt anzutun. Ein 1,90 m großer, stark übergewichtiger Mann.

Im Februar 2010, nach den Veröffentlichungen über die Missbrauchsskandale in Berlin und anderen Orts, offenbarte sich das nunmehr 14jährige Mädchen ihrer Religionslehrerin. Riedel hatte auch nach dem ersten Übergriff 2006 immer wieder den Kontakt gesucht und bei seinen häufigen Besuchen in Hildesheim Übergriffe versucht, wenn er mit dem Kind allein war. Die Religionslehrerin begleitete das Mädchen zum Bischöflichen Ordinariat.

Wieder wäre eine Gelegenheit zum Handeln gewesen, eine einmalige Gelegenheit: Während alle Missbrauchstaten der Vergangenheit nicht mehr verfolgt werden konnten, war hier nun ein aktueller Fall, der klar nicht verjährt war.

Doch das Bistum verhielt sich genauso wie immer. Es wurde ein Protokoll aufgenommen. Das Mädchen entlassen, Stillschweigen vereinbart – und es geschah nichts. Es wäre wohl auch dabeigeblieben, wenn nicht die Jugendliche in den Sommerferien nach einem Zusammenbruch in der Kinderpsychiatrie gelandet wäre. Die behandelnden Ärzte handelten und informierten die Erziehungsberechtigten über den Verdacht des sexuellen Missbrauchs. Die Erziehungsberechtigten verlangten daraufhin vom Bistum, Anzeige zu erstatten. Am 21. Dezember 2010 mit zehnmonatiger Verspätung ging diese an die Staatsanwaltschaft.

Darin offenbar kein Wort über die endlose Vorgeschichte des „Peter R.“, kein Hinweis darauf, dass dieser Mann seit Februar jenes Jahres als einer der Serientäter vom Berliner Canisius-Kolleg öffentlich bekannt war.

Im Frühjahr 2011 wurde das Verfahren gegen den zwischenzeitlich erkrankten Pfarrer im Ruhestand wegen mangelndem öffentlichen Interesse ohne Prozess gegen eine Geldzahlung eingestellt. Die Verantwortung der Justizbehörden für dieses Versagen wird noch zu klären sein.

Die Kirche jedoch führte ihr eigenes Kirchenrechtsverfahren gegen den Missbrauchstäter Peter R. im Verborgenen weiter. Ende 2013 wurde Peter R. nach Aktenlage wegen Missbrauch an dem Mädchen verurteilt. Dieses wurde weder gehört noch informiert. Riedel wurde untersagt, seine Funktion als Priester weiter auszuüben und er musste 4000 Euro zahlen, an die Kirche, in bequemen Raten, von seiner auskömmlichen Pension. Die vielen vorliegenden Berichte von Opfern des Canisius-Kollegs wurden nicht berücksichtigt.

Peter R. ist heute 74 Jahre alt. Er lebt als freier Mann mitten in Berlin, rechtlich gilt er als unbescholten. Es steht ihm frei zu reisen, wo immer es ihn hinzieht.

Die Schuld dafür trägt die Katholische Kirche. Der letzte in der langen Kette der Verantwortlichen, die versagt haben, ist der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle.